An den Rand notiert: 1650 bis 1674

Andreas Burmester

Breslau 1650 (vermutlich die 3. Auflage) steht ganz unter dem Eindruck des 30jährigen Krieges und der Pest. Sie ersetzt Breslau 1618. Schon letztere war eine Sammeltaxe, die innerhalb der Sectiones nach aufsteigendem Preis und dem Alphabet nach geordnet ist. Es ist nur eine Vermutung, aber ein gezieltes Auffinden von Waren dürfte im regen Alltagsbetrieb einer Apotheke nur schwer möglich gewesen sein. Auch hier entspricht ein Breslauer Medicinal Pfund  "24 ½ lot Silbergewicht", das Pondus Civile, unser Krämerpfund "32 lott".

Breslau 1618 (Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt)

Da Apotheken in der Regel im Zentrum von Städten lagen, die noch durch eine mittelalterliche Straßenstruktur geprägt waren und in denen jeder Brand eine Gefahr für die ganze Stadt werden konnte, wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen: „Jedoch weil etlich Spezies aus den Mineralien groß Holtz und Feuer bedürfen/ und in engen gelegenheiten nicht geringe Gefahr nach sich ziehen/ wodurch leicht gemeiner Stadt ein groß Unglück zugefüget werden könne/ sol den Apoteckern verstattet seyn/ daß sie solche bey ihren wolbekandten und treuen Leuchen [Leuten]/ welche mieten im Holtz sitzen/ und die Mineralia, auch Gefässe dazu/ als Recipienten, und anders an der hand haben/ doch daß wann sie nicht recht und gut befunden/ gar nicht angenommen/ wie auch zum überfluß allezeit noch einest/ so viel die nothdurfft erfordert/ recht und wol rectificiret werden sollen.“ Dieser Passus bezeugt, dass der Apotheker bei aller Abgrenzung zu anderen Berufsständen Arbeiten an Dritte vergeben durfte, wenn dies z. B. aus Brandschutzgründen als erforderlich angesehen wurde. Keine Regel also ohne Ausnahme! Bereits 1579 – in der ersten Breslauer Taxe [1], die bislang nicht nachweisbar ist – scheint geregelt worden zu sein, dass Bäudner (auch Beudner) zwar „allerley Saamen/ Wurtzeln/ Kräuter […]“ verkaufen dürfen, jedoch „Außländische Simplicia exotica & transmarina, mineralia  materialia, und andere Medicamenta […] so ohne Disputation in die Apotecken gehörig“, nicht handeln durften.

Breslau 1650 (Sächsische Landesbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek Dresden)

Ebenso sollten die Zuckerbäcker zwar „allerley Zucker und andere eingemachte Sachen/ von Früchten/ Gewürtz/ Würtzeln und Samen […] in ihrer Behausung“ verkaufen dürfen. Es sei ihnen jedoch verboten, diejenigen „Materialia, Mineralia und Artzneyen“ zu vertreiben, für die die Apotheken zuständig seien. In der Preisgestaltung von Gewürzen und Specereyen hatten sich die Zuckerbäcker wie auch der Apotheker wiederum an dem zu orientieren, was der Materialist hierfür verlangte. Die älteste Apotheke Breslaus befand sich wohl am Naschmarkt im Haus zum Goldenen Hirschen, an ihre Existenz erinnert heute nur noch eine Schrifttafel. Im Jahr 1579, dem Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Breslauer Taxe, gab es schon vier Apotheken in Breslau.

Eben diese Anzahl von vier Apotheken schien dem Rat der Reichsstadt Schwäbisch Hall für ihre Stadt als weit zu hoch, ja sie seien "weder dem gemeinen noch privât=Wesen fürträglich". Schwäbisch Hall 1651 gibt deshalb vor, dass – wann immer einer der Apotheker seine Apotheke schlecht bestelle, seine Tätigkeit aufgebe oder versterbe – die Apotheke aufgelöst werden solle. Die Hälfte der Apotheken erschien ausreichend. Vermutlich hatte dies mit der um rund 15% gefallenen Einwohnerzahl während des 30jährigen Krieges zu tun. Das Vorwort zu Schwäbisch Hall 1680 redet dann auch von drei Apotheken, eine muss also geschlossen haben. Die spätere Taxe weist auf explizit Materialisten hin, "bei welchen dieser Zeit die Apotheker ihre Waren nehmen".

Die der Taxe Schwäbisch Hall 1651 vorgeschaltete Medizinal- und Apothekenordnung scheint noch ganz unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges, dieser gerade befriedeten Auseinandersetzung zu stehen. Erst 1650 waren die letzten Soldaten abgezogen, die Raubzüge im noch einmal mehr entvölkerten Umland wie in der Reichsstadt hatten bis dahin angedauert [2]. Allfälligen Missständen, alten und minderwertigen Waren, dem Ausschank von Alkoholika, Nachlässigkeiten im Dienst, einer säumigen Zahlungsmoral und manch Anderem stellte man sich durch eine kleinteilige Apothekenordnung entgegen.

Die Mohrenapotheke in den 1930er Jahren (StadtA Schwäb. Hall FS 48084)

Die Mohren-Apotheke zählt zu den ältesten der Stadt. 1566 gegründet und seit 1761 an ihrem heutigen Standort, fiel sie 2017 dem dramatischen Apothekensterben der heutigen Zeit zum Opfer. Wir erinnern uns: Ein Zuviel an Apotheken war schon 1651 ein Thema. Ganz im Gegenteil zu der an der Hausecke montierten Figur eines Mohren, die nicht nur der angrenzenden Mohrenstraße ihren Namen schenkte, sondern wie in vielen anderen Apotheken bis heute die Errungenschaften afrikanischer Heilkunst symbolisierte. Die politische Korrektheit unserer Tage verstellt so den Blick auf die kenntnisreiche Würdigung der Vergangenheit: Ein Medikament hiergegen führt auch die Mohren-Apotheke nicht!

Doch die älteste Apotheke in Schwäbisch Hall ist nicht die Mohren-, sondern die Loewen Apotheke, in der sich die barocke Innenausstattung zu Teilen bewahrt hat. Sie hat an ihrem heutigen Standort das gesamte Warensortiment unserer Taxe schon gesehen … doch, ob wir heute noch Farben fänden?

Apothekenraum der Loewen Apotheke (Foto: https://www.apothekenloewen.de/apotheke/)

Nürnberg 1652 führt uns aus der Provinz in ein europäisches Zentrum des Fernhandels. Welche Rolle spielten Apotheken? Welche die 1442 gegründete Mohren-Apotheke, die sich ab 1578 an der Lorenzkirche befand? [3] Unser Projekt lässt allzu leicht vergessen, dass die Rolle der Apotheke primär in der Gesundheitsvor- und -fürsorge lag.

Mohren-Apotheke in Nürnberg, Zeichnung des 17. Jhs. (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)

Wenige Jahre nach dem Ende des 30jährigen Krieges und gezeichnet durch Pandemien wie die Pest, erließ die Reichsstadt Nürnberg eine „Verneuerte Gesetz Ordnung und Tax“, die allerseits beklagte Missstände zu regeln suchte. Vor allem hätten Einwohner Nürnbergs und „außländische Empyrici“, die die „Medicinam niemals studirt und gelernt“ hätten, Arzneien hergestellt und vertrieben. Damit sei der „gemeine Mann nicht allein umb das Gelt: sondern auch umb die Gesundheit zu seinem unwiederbringlichen schaden gebracht worden“. Diese verantwortungsvolle Tätigkeit stünde alleine dem Apotheker zu, sei jedoch nicht Sache der „Balbierer/ Wund: und Augenärtzt/ Steinschneider und Bader“ und anderen „muhtwilligen Verbrechern“. Der Apotheker wiederum sei durch Mediziner zu überwachen, die „auff bekandten Universiteten Teutschtlands oder anderer Ort“ studiert und promoviert, in der medizinischen „praxi wol geübt“, öffentlich vereidigt und Mitglied des Collegio Medico sein müssten. Dieses Gremium dürfe keine „Doctores Bullati oder Empyrici und Winckelärtzt“ aufnehmen. Siegel und Buch des Collegio Medico seien einem Dekan zu überantworten, der dem Gremium vorsteht. Hinsichtlich der Versorgung der Kranken sei einzig das Ziel, in „Freundschafft und Communication“ zu handeln, „damit dann sonderlich den Patienten wol geholffen seyn wird“. Diese ärztliche Fürsorge gehöre in keinem Fall in die Hände von „Thyriackkrämern/ Zanbrechern/ Alchimisten/ Destillatorn/ verdorbenen Handwerckern/ Juden/ Schwartzkünstlern/ unnd alten Weibern“. Sowohl die leibliche Untersuchung der Kranken, die Rezeptierung von Medikamenten wie auch die Aufsicht über die Apotheke stünde einzig dem medico zu, die in der Ordnung getroffenen Regelungen seien aber in gleicher Weise von „verständigen unnd geschwornen Weibern. Über die Ausgabe von Giftstoffen habe der Apotheker Buch zu führen, Datum, Namen und Zunamen des Käufers waren zu notieren. Giftstoffe waren schwer zugänglich zu verwahren und gesonderte „Wagschalen unnd Instrumenta“ zu verwenden. Beim Apotheker solle die Ausgabe von Giftstoffen oder Produkten, mit denen Gifte hergestellt werden konnten, nur nach Nachweis erfolgen. Dem Materialisten dagegen – zu dem die „Leut [… dann] lauffen – sei die Ausgabe zu verweigern. Um dies sicherzustellen, habe sich der Materialist deshalb in gleicher Weise an die Apothekenordnung zu halten.

Nürnberg 1652 (Staats- und Stadtbibliothek Augsburg)

Wir wissen aus unseren Arbeiten zum Würzburger Materialisten Venino, dass im 18. Jh. mehrere Materialisten in Nürnberg ihrem Geschäft nachgingen, war doch die Reichsstadt Umschlagplatz von zahlreichen Waren des regionalen, reichsweiten wie auch internationalen Handels. Schon im 17. Jh. regelte Nürnberg 1652 das Tun der Materialisten: Den „Materialisten unnd andere[n] dergleichen Händlern“ – also vermutlich alle Arten von Krämern – wurde explizit der Verkauf von „purgirenden unnd treibenden Materialien, deren Handkauff von alters hero/ allein den Apothekern gehörig gewesen/ unter einem Viernding eines Pfunds" verboten. Doch von wo bezog der Kunde im Handkauf Mengen, die unter jenem Viertel Pfund lagen, also weniger als 120 Gramm?

Das Verbot, Arzneien herzustellen, galt erst recht für „Barbierer/ Bader/ und Wundärzt“ wie auch „Zuckermacher/ und andere gemeine Wurtzel Krämer“. Die Abgrenzung der Apotheken erfolgt unter Strafandrohung aber in gleicher Weise gegen „WinckelApotheken […] in denen man destillirte Oel/ Aqua vitae […] purgierende Säfft […] ohne Verstand praeparirt“. Waren mit Winkelapotheken die gemeint, die ihre Zubereitungen in einem dunklen Winkel herstellten, ja denen kein Privileg verliehen war? Auch andere Ordnungen verweisen auf derartige Apotheken, die vermutlich mit ursächlich für eine Neuregelung waren.

Nürnberg 1652 (Staats- und Stadtbibliothek Augsburg)

Zusammenfassend – und wenig überraschend gilt – gilt, dass die Rolle des Apothekers im Nürnberg des Jahres 1652 somit nicht die eines Materialisten war. Die Apotheken Nürnbergs beschränkten sich auf pharmazeutische Rezepturen und ihre Ausgangsstoffe, die in einer Gesamttaxe strukturiert und zudem ausschließlich auf Latein gelistet sind.

Zu diesem Eindruck passt Nürnberg 1669: Vermutlich basierend auf Nürnberg 1652 formuliert Valerius Cordus in seinem Dispensatorium Pharmaceuticum, 1666 in Nürnberg erschienen, eine Taxe, die dem Dispensatorium anhängt. Diese Taxe erscheint drei Jahre später als Separatum. Und wieder liegt der Fokus dieser ebenfalls nur auf Latein formulierten Taxe ausschließlich auf pharmazeutischen Zubereitungen und ihren Ausgangsprodukten. Nürnberg 1714 ändert dieses Bild vollständig: Die auf Latein und Deutsch verfasste Sammeltaxe entspricht jetzt völlig den Taxen ihrer Zeit. Und ihr Kapitel "Metalle/ Ertz und Farben" führt zu unserem Thema zurück. Warum jedoch möglichenfalls sogar Nürnberger Bleigelb oder das in dieser Zeit weite Spektrum von Blaupigmenten – nur Lapis Lazuli findet sich – fehlen, muss bislang ebenso unbeantwortet bleiben wie die Frage, warum die Nürnberger Taxe in Ansbach gedruckt ist?

Ansicht von Nürnberg auf dem Frontipiz von Valerius Cordus, Dispensatorium Pharmaceuticum, Nürnberg 1666 (Bayerische Staatsbibliothek München)

Sechs Jahre nach dem Abzug der Truppen der Katholischen Liga unter von Tily und acht Jahre nach dem Ende des 30jährigen Krieges, die der bislang unbesiegten Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber eine völlige Niederlage bescherte, bekamen die beiden dortigen Apotheken eine neue Ordnung und Taxe. Die Taxe erschien in Zeiten des Niedergangs. Rothenburg 1656 zeichnet sich nicht nur durch eine ausführliche Apothekerordnung aus, sondern regelte auch in ungewöhnlicher Breite die Tätigkeiten der Bader und Hebammen. Für uns längst nicht mehr überraschend, bezogen die örtlichen Apotheker ihre Simplicia von Materialisten. Diese wiederum kauften ihre Waren in „Frankfurt/ Nürnberg/ Augsburg oder anderstwo“. Die Verpackungen mussten in Gegenwart des Stadt-Physicus geöffnet und die „Kauffzettel“ vorgelegt werden.

Rothenburg 1656 (Universitätsbibliothek_Erlangen-Nürnberg)

Bereits 1374 ist in Rothenburg eine Löwen-Apotheke am Marktplatz belegt, die 641 Jahre an dieser Stelle bestand. Die zweite Apotheke wird die von 1600 bis 1710 nachweisbare Mohrenapotheke gewesen sein, die in vier Generationen von Georg Schwarzmann und Nachfahren betrieben wurde. [4] Die Sammeltaxe ist in drei Teile gegliedert ist: Die Materialia simplicia, die Medicamenta simplicia et composita und die Medicamenta chimica.

Ähnlich ergiebig begegnet uns in Nordhausen 1657 eine außerordentliche, auf praktische Fragen ausgerichtete Ordnung und eine rund 200 Seiten umfangreiche Taxe. Aberhunderte von Waren, Materialien und Zubereitungen müssen den Apotheker und seine Gesellen vor immer neue Herausforderungen gestellt haben. Aus der erwähnten Ordnung sei Weniges herausgegriffen, um unser Bild vom Alltag in der Nordhausener Apotheke zu beleben. Der 30jährige Krieg war rund zehn Jahre zuvor zu Ende gegangen und hatte ein verwüstetes Land und eine dezimierte Bevölkerung hinterlassen.

Nordhausen 1657 (Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg)

Auch in Nordhausen war Vieles „in gute Ordnung [zu] setzen“. Der Rat der Stadt war gewillt, das, „was etwan bey dem leidigen Kriege an Confusionen eingerissen/ ab[zu]schaffen.“ Darunter fielen auch Missstände in der einzigen Apotheke Nordhausens. Eine wohl formulierte Ordnung, die Eydformeln des Apothekers und seiner Gesellen, und eine ausführliche Taxe versprachen hier Abhilfe. Alleine die Liste der für die Offizin wie auch das Laboratorium benötigten Gefäße ist lang: Käst- und Schächtlein, „Metallische und Kupffern Brenzeug oder Vesicken“, gläserne Gefässe, „saubere/steinerne Büchslein/ sowie verglasurte Geschirre und Krügelein". An einem Punkt werden wir aufmerken, wird doch empfohlen, Zubereitungen, die aushärten, in Schweinsblasen aufzubewahren: „Worbey dieses noch in acht zu nehmen/ daß man die Extracta, wie auch alle andere Artzneyen/ die anfänglichen einer ziemlichen weichen consistentz, mider Zeit aber also verhärten/ daß sie ohne Mühe nicht mögen zertrieben werden/ in keine gläserne und dergleichen zerbrechliche Gefässe als bloß auffhebe/ sondern in saubere/ steinerne Büchßlein/ oder aber in Schweinenblasen/ die nochmals in Büchsen/ schachteln oder andern eingethan/ beylege/ damit nicht etwa/ so sie aus den blossen Gläsern mit Gewalt genommen/ selbige zerbrochen […].“ Die Schweinsblase, die wir bis Mitte des 19. Jhs. als gängigen Aufbewahrungsgefäß für angeteigte Künstlerfarben kennen, wird also ihren Ursprung in der Apotheke gehabt haben.

Für unsere Thematik entpuppt sich Nordhausen 1657 noch in einem weiteren Punkt als Glücksfall: Die Taxe enthält ein eigenes Kapitel mit Farben. Dabei fällt auf, dass Weiß- und Schwarzpigmente oder Füllstoffe fehlen. Reich vertreten sind Farblacke, wie Maler-, Pariß- oder Rösellack sowie der hochpreisige Florentiner Lack. Lackmus, Indigo, Schüttgelb und Tournesol sind weitere, jedoch wenig lichtechte Farbmittel. Auffallend ist, dass sich unter den Colores zahlreiche Blautöne finden: Es sind Lasurblau unterschiedlichen Preises und Smalte. Ein kleiner Zusatz erlaubt eine Differenzierung zwischen hochpreisigem Azurit und Ultramarin – erwähnt werden die wie Sterne glänzenden Pyrit-Einschlüsse. Im Gegensatz zu vielen anderen Taxen können wir hier also sicher sein, dass es sich um Ultramarin handelt. Mahlsilber, Musivgold und Rötel mögen auch von anderen als Tafelmalern nachgefragt worden sein. Mennige und gemachter, also künstlicher Zinnober, gelber Ocker und Auripigment sowie Berggrün sind gängige Pigmente der Zeit. Aber auch diese Taxe birgt Rätsel: Was ist Eisenfarbe und Türkische Farbe?

Nordhausen 1657 (Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg)

Eine weitere Trouvaille: Halle 1658! Die Auswirkungen des 30jährigen Krieges auf das Apothekenwesen waren auch in Halle lange noch zu spüren. Insbesondere unterblieben die jährlichen Visitationen und vermutlich wurden die Preislisten auch nicht aktualisiert. Letztmalig scheint dies 1642 geschehen zu sein, wenngleich auch „nothdürftig“, wie es heißt. Die Überarbeitung von Halle 1658 bezieht sich auf die „damals gesetzte Tax“. Auch in Halle war die Anzahl der Apotheken beschränkt, hier auf zwei, zudem „die vorhin gewesene dritte […] als ein bloß Cadaver gestanden“. Ein vermutlich städtischer Zuschuss ermöglichte ihren Aufkauf.

Die für einen geordneten Betrieb einer Apotheke verfasste Ordnung gibt einen ungewöhnlich lebendigen Einblick in den Alltag einer Apotheke. So erforderten die pflanzlichen Waren – die uns nur am Rande tangieren – immer neue Aufmerksamkeit des Gesellen und des Jungen und die Böden gehörten wöchentlich gekehrt. In unserem Zusammenhang interessant ist vor allem, man solle „Farben in Papier abwegen/ und allezeit in die andere Schalen so viel Papier einlegen“. Ein seltener Hinweis darauf, dass Farben – besser Pigmente – in Papier abgewogen und dann auch wahrscheinlich eingewickelt wurden. Dies ist uns bislang nur in Görlitz 1629 begegnet! Hierzu musste das Papier ausreichend fest und damit eine hohe Grammatur haben. Dass in der Regel nur geringe Mengen im Handkauf abgegeben wurden, belegt, dass während der Wägung ein – gleich großes – Papier als Tara in die andere Waagschale, wo die Gewichte in Form von Gussstücken oder Blechen aufgelegt wurden, gelegt werden sollte.

Halle 1658 (Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt)

Halle 1658 beleuchtet das immerwährend angespannte Konkurrenzverhältnis zwischen Apothekern, Krämern und Materialisten auf unerwartete Weise: Es heisst, es sei „Cramern und Materialisten bey ernster bestraffung/ hiermit verboten […]/ die Wahren / welche allein zur Artzney gehören“ zu verkaufen. „[…] Andere Wahren/ so die Haußhaltung auch Handwercks-Leute mit der Artzney gemein haben/ [seien] hierunter nicht zu verstehen“, durften also frei verkauft werden. Erstmalig wird hier der Handwerker als Kunde in der Apotheke genannte. Ganz anders als in Nürnberg 1652 enthält die Regelung keine Mengenbegrenzungen, so dass ein Materialist durchaus 1 Loth Zinnober – also auch kleinere Mengen – im Handkauf abgeben konnte. Die in Halle getroffenen Regelungen öffnen also Mitte des 17. Jhs. ein weites Fenster für die Tätigkeiten eines Materialisten. Die Vorstellung, dass der Handel mit all dem, das uns interessiert, allein dem Apotheker zugewiesen wäre, dürfte deshalb irreleiten: Zwar behält die Apotheke an Orten, die noch keinen Materialisten hatten, ihre Bedeutung bei der Versorgung mit Farben, aber es zeichnet sich schon ab, dass der Farbenhandel, der Handel mit Harzen, Gummen und Ölen weitgehend an den Materialisten und späteren Drog(u)isten übergehen wird.

Von vergleichbarer Vielfalt und Strukturiertheit ist die Taxe Bautzen 1660. Sie ist die Überarbeitung der von Bautzen 1616. Dazwischen liegt der 30jährige Krieg. Beiden Taxen sind in Titelblatt und Gestaltung ähnlich. Beiden vorangestellt ist Syrach 38: „Der Herr lest die Artzney aus der Erden Wachsen/ und ein Vernünfftiger verachtet sie nicht“. Dieser Bibelspruch benennt die Grundlage jeder damaligen Apotheke: Alles, ob Pflanzen, Tiere, ob Metalle, Mineralien, Farben schöpft der Apotheker aus dem reichen Fundus der Natur. Die in späteren Taxen reichlich vertretenen chymica spielen in beiden Bautzener Taxen nur eine kleine Rolle. Der Anlass für die Revision der über 40 Jahre gültigen Taxe Bautzen 1616 waren weniger die kriegsbedingten Verwerfungen als die Besitzverhältnisse der einzigen, der Stadt-Apotheke in Bautzen: Nach dem Tod des Apothekers Andreas Nietzsche führte seine Witwe und Erbin Dorothea Nietzsche die seit 1586 mit einem Privileg versehene Apotheke weiter.[4] Da selbst keine ausgebildete Apothekerin – eine damals für eine Frau undenkbare Rolle – betrieb sie die Apotheke mit Unterstützung eines sogenannten Provisors, einem ausgebildeten, doch angestellten Apotheker, und dessen Gesellen. Deren Dienst währte Sonn- als Werck=Tags zum Nutzen der Erkrankten. Im Sommer öffnete die Apotheke um 5 Uhr morgens, im Winter um 6 Uhr, und schloss um 21 Uhr am Abend. Nicht regional beziehbare Waren wurden von der Leipziger Messe eingekauft, steigende und fallende Waren wurden nach dem „Marcktzettel der Leipziger Meß“ im Preis angepasst. Die Anfertigung der Rezepturen folgt dem „Augspurg= oder Nürmbergischen dispensatorio“, Visitationen erfolgten Ostern und Michaelis. Das Kapitel „Metalla, Mineralia & Pigmenta“ weist eine breite Palette aus, wobei die oft verwirrenden lateinischen Mehrfachbezeichnungen systematisch auf gängigere Bezeichnungen verwiesen werden: So führt die Suche nach Bezettae, den roten Tüchlein, auf den vermutlich gängigeren Begriff Tornae solis. Der Kunde jedoch wird nach roten Schminktüchlein oder – hier in Bautzen – nach roten Lappen verlangt haben.

Bautzen 1616 (Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt)

Liegnitz 1662 – wie hatten uns ja bereits mit den ergiebigen schlesischen Taxen befasst – merkt im Vorwort an, dass es dort (immer noch) nur eine Apotheke gäbe. Es war vermutlich die am Hof angesiedelte und von uns in einem Beitrag über Liegnitz beschriebene Apotheke [1]. Die Neuauflage der Taxe diene zur „Erhaltung besserer Ordnung". Zur Überraschung kennt Liegnitz 1662 kein gesondertes Colores Kapitel mehr. Die Farben werden den Metallen, Mineralien und dem Erdpech zugeschlagen, wobei Smalte, Bergblau oder Ultramarin, Saffran, Sandelholz oder Curcuma nicht ausgepreist sind. Trat jetzt neben den Apotheker der Materialist, der Liegnitz und die umliegenden Land mit Farben versorgte?

Ebenso wie uns die Situation in Liegnitz vertraut ist, ist uns Helmstedt 1600 in Erinnerung. In der Taxe Helmstedt 1663 werden neue Preise festgelegt, die vorgestellte Apothekerordnung übernommen. Die genauen Abweichungen im Warenangebot bedürfen einer späteren Bearbeitung, doch der auffällige Eintrag von Wasserblaw taucht dort unter smalta communis auf, in der Liste von 1600 noch als separater Eintrag „Die Wasserblaw“ – fett und groß gesetzt, ohne ein lateinisches Äquivalent. Das mit Cobaltoxid blau gefärbte, künstlich hergestellte Farbglas Smalte fällt dann unter die im Register der Kapitel erwähnten „cruda & chemice praeparata“, also rohen und chemisch hergestellten mineralia, metalla und pigmenta.

Würzburg 1663 ist eine jener Fälle, die auf Grund ihres augenfällig eingeschränkten Sortimentes einen Materialisten vor Ort fast zwingend machen: Hat vielleicht der Materialist Carl Anton Venino, der sich 1716 in Würzburg ansiedelte und der Tiepolo und seine Werkstatt belieferte – wie hören hiervon noch –, einen Vorgänger gehabt? Der Auftraggeber der Taxe, Johann Philipp von Schönborn,

Johann Philipp von Schönborn (1605-1673) (aus Wikipedia)

seit 1642 Fürstbischof zu Würzburg, wurde im Jahr des Erscheinens unserer Taxe Bischof von Worms. Dem Förderer der Wissenschaft und Künste war an einem funktionierenden Apothekerwesen gelegen. Doch der Arm des Apothekers griff schon damals kurz, denn auch ihm war „gegen die Kraft des Todes kein Kraut gewachsen“, wie es sinngemäß auf dem, der Taxe nachgeschalteten Kupferstich heißt.

Würzburg 1663 (Bayerische Staatsbibliothek München)

Zwischen Magdeburg 1577 und Magdeburg 1666 liegen rund 90 Jahre. Ob in der Zwischenzeit eine weitere Taxe erschien, wissen wir (noch) nicht. In Magdeburg 1666 ist von „den Apothecken“ die Rede, es gab also inzwischen mindestens zwei. [5] Bei der Auswertung des Göttinger Exemplars ließ sich der Preis für Muschelsilber nicht sicher ermitteln, der Preis war nicht lesbar, da die Ziffer verdruckt war. In dem digitalen Dresdner Exemplar lässt sich der Preis klar als 1 Groschen lesen. Diese kleine Beobachtung belegt, dass die Exemplare auf Grund des Handdruckverfahrens durchaus Abweichungen zeigen können.  In Magdeburg 1699 wurden handschriftlich zwei weitere Preisspalten ergänzt, die Preise jetzt in Kreuzern und Pfennigen. Nicht alle Produkte sind mit neuen Preisen versehen, das Sortiment scheint deutlich verkleinert. Die Kapitelüberschrift lautet Metalla & Mineralia, die Pigmenta entfallen. Einzelne Waren wie Tripolis Venetianae oder Citrina, seu Ochrae sind nachgetragen. Das Warensortiment ändert sich leicht: So gibt es nur eine Sorte von Berggrün, Lasur- oder Bergblau wie auch Zwischgold fehlen völlig.

Die zu Beginn meiner Randnotizen bereits geschilderte Währungsproblematik lässt sich an der Taxe Danzig 1668 beispielhaft abhandeln. Die Taxe kennt Florin, Schilling und Pfennig. Doch wie sind die Umrechnungsfaktoren? Die Taxe gibt hierzu keinen direkten Hinweis. In einem Band von Victualordnungen und Taxen aus Vorpommern, gedruckt in Stettin 1673, findet sich allerdings eine Umrechnung von 1 Reichstaler in 2 Florin, „auf denselben [also auf den Florin] 48. Schilling Lübisch/ oder 96. Schilling Sundisch gerechnet“. Ein Florin kann also 48 Schilling Lübisch oder 96 Schillinge Sundisch wert sein. Doch welcher Schilling wurde in der Taxe Danzig 1668 verwendet? Dafür, dass hier Lübische, also Lübecker Schillinge, gemeint waren, spricht die Tatsache, dass Wertangaben in der Spalte für den Schilling Zahlen bis 24 aufweisen. Im Kapitel zu den in der Regel hochpreisigen Balsamen tauchen Waren im Wert von 24 Schilling auf: Dies entspräche dann einem halben Florin. Aber wieviel Pfennige waren der Lübische Schilling wert? In der letzten Spalte der Taxe tauchen immer wieder die Ziffern 3, 6 oder 9, aber nie 12 auf, der Schilling wird also, wie so oft, 12 Pfennige wert gewesen sein.

Das eigentlich Bemerkenswerte an der Danziger Taxe ist allerdings ihre Taxa Vasorum, also ihre Liste der an die Kunden ausgegebenen Aufbewahrungsgefäße oder Verpackungseinheiten und ihren jeweiligen Preis. Es finden sich gläserne Gefäße à 1 Pfund, ½ Pfund, 4, 3, 2 Unzen und 1 Loth, dazugehörige hölzerne Kapseln/Schuber – die das Glas beim Transport schützen sollen –, weiterhin Schachteln und Krüge in den eben genannten Größen, aber vor allem auch Papiere, in die man die Ware einwickelte. Genannt wird blaues Papier, saugfähiges (Kaufmanns)Makulaturpapier und türkische Buntpapiere in verschiedenen Farben. Letztere waren pro Bogen sechsmal so teuer wie das Makulaturpapier. Das „Vollständige und sehr Nutzbare Haushaltungs=Lexicon“ von 1752 [6] kennt ungeleimtes Hadernpapier, wie es die Drucker verwenden – unser saugfähiges Makulaturpapier. Das geringste sei Lesch-Pappier, was in „Apotheken und Kram=Läden zu Dieten [Tüten] und zum Einwickeln“ diene. Das „sogenannte bunte Türckische Pappier“ würde „viel bey Augspurg“ gemacht.

Renovirte Tax- und Victual-Ordnung, Stettin 1673 (Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt)

Während Taxen, die Dispensatorien oder Pharmacopöen angehängt sind, in der Regel nur pharmazeutisch relevante Waren listen, entwickeln sich andere zu einem wahren Marktplatz all der Dinge, für die wir uns interessieren. Dazu rechnet Weimar 1674. Die für die einzige Apotheke in Weimar – die 1501 gegründete, 1567 mit einem Privileg versehene und 2022 geschlossene Hof-Apotheke am Marktplatz – verfasste Taxe macht deutlich, dass es auch bei einer Apotheke bleiben soll: Mehrere Versuche, den Betrieb einer zweiten Apotheke genehmigt zu bekommen, scheiterten am einmal erteilten Privileg für die Hof-Apotheke [7]. Diese galt allerdings als überteuert, doch ihr Monopol fiel erst 1799!

Das Vorwort zu Weimar 1674 macht deutlich, dass "in unserer Residenz=Stadt Weimar einige Unordnungen und Mißbräuche eingerissen" seien. "Ordinar und general visitationes" sollten für Kontrollen durch die Medicos Ordinarios sorgen, und dies "unversehens [und] so oft sie wollen und es nöthig seyn wird". In der Weimarer Hof-Apotheke erweiterte eine reiche Palette an Farben, Bindemitteln und Anderem das Angebot und trug zum Wohlergehen der Apotheke bei: Florentiner Lack, Kugellack, Zwischgold, Berggrün, gelbe Ocker, Rötel und verschiedene, gängige Öle … Auch wenn noch nicht in unseren Warenkanon aufgestiegen, waren auch Lavendelöl und Rosmarinöl erhältlich. Beide werden derzeit als geringfügige Zusätze in klassischen Bindemittelsystemen diskutiert. Doch spricht ihr hoher Preis – 100fach bzw. 200fach so teuer als gemeines Leinöl – nicht dagegen?  

Weimarer Stadtplan von 1569 mit der Lage der Weimarer Hof-Apotheke (2) am Markt und ihrer Vorgängerapotheke (1) (aus [7])

An einem Punkt sollten wir noch einmal verweilen: Wie es heißt, galt das Kramer Pfund von 32 Loth für all die Materialien, die „die Haußhaltung und Handwercksleute mit denen Artzneyen gemein" hätten. Diese Materialien durften in Weimar allerdings auch von Kramern geführt werden, das Monopol der Hof-Apotheke war auf pharmazeutisch Relevantes begrenzt! Sowohl die Apotheke wie auch die Kramer würden über Materialisten versorgt: Sie lieferten von Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Leipzig und Naumburg. Bislang ist dies der einzige Hinweis auf die Messestadt Naumburg - doch der deshalb erwartete Waid fehlt. Weimar selbst schien keinen Materialisten zu haben: 1773 erbat deshalb der Apothekengeselle und Provisor in der Hof-Apotheke, Adolph August Tietzmann, "einen Handel mit Material-Waren und medicamentis simplicis anzufangen", was wiederum – und wiederum vergeblich – die Frage einer zweiten Apotheke auf den Tisch bringt [7].

[1] Wilhelm Brachmann: Quellen zur Apothekengeschichte Schlesiens, in: Geschichtsbeilage zur Deutschen Apotheker-Zeitung (1953), Nr. 3, 25-27 und in: Beihefte zum Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau V (Würzburg 1966), S. 39 ff.

[2] Zur Geschichte von Schwäbisch Hall siehe https://www.leo-bw.de/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/3361/Schwäbisch+Hall+%5BAltgemeinde-Teilort%5D

[3] Zur Geschichte der Nürnberger Apotheken siehe Hermann Peters und Fritz Ferchl: Die Apotheke zum Mohren in Nürnberg. Nürnbergs älteste Apotheke im Wandel von fünf Jahrhunderten, Stuttgart 1928,

[4] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/12/30/bautzens-aelteste-477-jahre-apothekengeschichte, letztmalig aufgerufen am 11.11.2022.

[5] In Anbetracht der Magdeburger Taxen von 1577 und 1666 kann die die 1730 gegründete Löwen-Apotheke (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Löwen-Apotheke_(Magdeburg), letztmalig aufgerufen 24.3.22) nicht in Anspruch nehmen, die älteste Apotheke Magdeburgs zu sein.

[6] „Vollständiges und sehr Nutzbares Haußhaltungs=Lexicon [...]“, Bamberg 1752 (urn:nbn:de:bvb:12-bsb11110403-0, letztmalig aufgerufen am 14.11.2022).

[7] Hubert Erzmann: 450 Jahre privilegierte Weimarer Hofapotheke seit 1567. Zur Geschichte der Weimarer Apotheken, in: Weimar-Jena: Die große Stadt. Das kulturhistorische Archiv 10. Jg. (2017), Heft 1, 5-30 sowie Heft 2, 129-150.

Dieser Beitrag ist zu zitieren als Andreas Burmester: An den Rand notiert. Anmerkungen zum Münchner Taxenprojekt (2022), www.taxenprojekt.de

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