An den Rand notiert: 1700 bis 1724

Andreas Burmester

Die Quedlinburger Taxe von 1701 ist eine vermehrte und „revidirte“ Auflage von Quedlinburg 1665. Die beiden Taxen erscheinen wie in anderen Städten in überraschend großem zeitlichem Abstand, hier von rund 35 Jahren. Bereits im Titel wird deutlich, dass die frühere Taxe für die seit mindestens 1540 nachweisbare Rahts-Apotheke (Privileg 1578) verfasst wurde. [1] Im einleitenden Text der Taxe von 1701 sind dann eine Apotheke in der „Altenstadt“ sowie eine in der „Neustadt“ erwähnt: Die „in Westendorfft […] angelegte Hoff-Apotheke“ ist vermutlich die in der „Altenstadt“, also in der Nähe des Schlosses und des Stiftes. Die Rahts-Apotheke in der Neustadt findet sich noch heute nördlich des Rathauses in der „Neustadt“ am Kornmarkt. Fast charakteristisch für die Taxen dieser Zeit, man ringt um die Form: Die Entscheidung, die Waren nach „Capitibus und Classen“ zu sortieren – die Taxe also als Sammeltaxe und nicht alphabetisch anzuordnen – wird damit begründet, da ansonsten die, die des Lateinischen nicht mächtig seien, Mühe hätten “den Preiß so fort finden [zu] können“.

Mit dem Erscheinen der neuen Taxe wird der Rahts-Apotheke das Fürstliche Apotheker-Privileg erneuert, die jährlich für dieses Privileg zu entrichtende Summe belief sich auf zehn Thaler. Zusätzlich war die Hofküche jedes Osterfest mit Gewürzen im Wert von fünf Thalern zu beliefern. Überhaupt bietet die Taxe von 1665 ein überreiches Angebot an Zuckerwaren, Säften, Schnäpsen und Confekt an. Der Hof machte sich in gleicher Weise die „Krahmer=Gülde und Gewürtz=Händler“ zunutze, die auch ein Privileg zugeteilt bekamen. Zu einer gesicherten Existenz der beiden Quedlinburger Apotheken gehört wie an anderen Orten, dass den örtlichen Materialisten untersagt wird, „Wahren zu führen/ welche nur in denen Apotheken debitirt und verhandelt werden müssen“. Wo die Linien verliefen, wurde explizit in der Quedlinburgischen Polizey=Ordnung geregelt. Die Strafe von zwei(!) Thalern für jede Übertretung waren empfindlich. Neben Farben bot die Rahts-Apotheke auch Spirituosen an: Sieben Aquavite an, darunter Anglicken-, Aniß-, Kümmel-, Citronen- und Wacholderaquavit. Über den medizinischen Nutzen waren sich Apotheker und Kunde einig! Das Angebot eines „schlechten Aquavit“ mochte trotz des eher abweisenden Namens am Ende Manchen durch seinen niedrigen Preis überzeugt haben. Und in Einzelfällen wird der „rothe Magen Aquavit“ Wunder gewirkt haben.

Die Quedlinburger Rats-Apotheke besteht bis heute und weist in den Grundzügen architektonisch noch die spätmittelalterliche Struktur einer Offizin mit einem Eingang und einem großen Fenster auf, mit Hof und rückliegendem Lager.

Die Adler- und Rats-Apotheke in Quedlinburg (Foto Olaf Meister,  https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25315703)

Die rund um das heutige Berlin erschienenen Taxen des späten 17. Jhs. und frühen 18. Jhs führen uns mitten in den unaufhaltsamen Aufstieg Berlins. Die Taxe Berlin 1693 wird noch der Apothekerlehrling Johann Friedrich Böttger in der Hand gehabt haben, der ab 1696 in der nach dem Besitzer benannten Zornschen Apotheke am Berliner Molkenmarkt mit der frühen Chemie in Kontakt kam. Auch wenn seine Versuche, Gold zu machen, bald als Taschenspielertricks entlarvt wurden – weswegen Böttger 1702 Berlin in Richtung Dresden fluchtartig verließ – gilt er als Erfinder des Porzellans. Böttger wird so die Taxe Berlin 1704 nicht mehr erlebt haben. Diese wurde auf Befehl von Friedrich Wilhelm III durch ein Collegium Medicum erneuert. Letzteres setzt sich aus „Räthen, Leib-Medicis und Hof-Medicis“, aus den beiden Ordinarien der Medicinischen Fakultät in Frankfurt an der Oder und anderen, aus dem damaligen Preußen hinzugezogenen Medicis zusammen.

Merian Stich von Berlin und Cölln, Kupferstich um 1656
(https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Berlin-1652-Merian_nordwest.jpg)

Grund für die neue Taxe Berlin 1704 war, dass die Vorläufertaxe vergriffen war. Ich vermute, dass hiermit die von Cölln an der Spree von 1698 gemeint ist. Sie ist durchgängig auf Latein verfasst, ein Titelkupfer fehlt. Insgesamt weist die Cöllner Taxe eine große Nähe zu Brandenburg 1694 auf. Die Abgrenzung zu „Materialisten/ Gewürtzkrahmern/ Alchimisten/ Destillatores, Zuckerbecker/ Parfümirer/ Brandweinbrenner und dergleichen“ nahm auch in Berlin 1704 Raum ein, wir müssen dies nicht wiederholen. Bei steigenden und fallenden Preisen – z. B. bei Exotica und Ausländischen Waaren – sollte sich der Apotheker zur Festsetzung eines Preises an die Hamburgische Preiß=Courante halten. Berlin 1704 führt alle für den Maler unverzichtbaren Pigmente und Farbmittel auf, Berliner Blau fehlt noch.

1709 wurden die Doppelstadt Cölln an der Spree und Berlin, ebenso Friedrichstadt u. a. zu einer Stadt mit ungefähr 55.000 Einwohnern zusammengelegt. Der Aufstieg Berlins begann [2]. Die Apotheke „Zur goldenen Kugel“ am Alt-Cöllner Fischmarkt, die älteste Apotheke der Doppelstadt Berlin-Cölln, musste sich ab diesem Zeitpunkt nach den in Berlin erscheinenden Taxen richten [3].

Auch wenn es auf Grund des fehlenden Digitalisates für Berlin 1693 noch nicht gesagt werden kann, zeigt Brandenburg 1694, dann aber auch Berlin 1704 und Berlin 1715 denselben Titelkupfer. Der Kupferstich aus der Hand von Joh. Hen. Huber bietet uns einen kenntnisreichen Einblick in ein Bergwerk wie in die Offizin einer Apotheke, bereichert uns zudem um einen Ausblick in die Tier- und Pflanzenwelt sowie eine detaillierte Darstellung eines pharmazeutischen Labors. So spannt sich der Bogen von all den natürlich vorkommenden (simplicia) bis hin zu den künstlich hergestellten Waren (composita, chymica), die in der Apotheke angeboten wurden. 

Titelkupfer von Berlin 1715 (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)

Die ungewöhnliche, alphabetisch sortierte Gesamttaxe Berlin 1715 mit einem ausführlichen deutschen Index – um „weitläuffiges Nachsuchen“ zu vermeiden – ist in den Sprachen Latein, Französisch (die Sprache des Hofes) und Deutsch gehalten. Ihre Gültigkeit erstreckte sich über ganz Preussen – besser gesagt einen Flickenteppich –, von Kleve über die „Churfürstlichen Brandenburgischen Lande“ bis hin nach Pommern. Die Preisfindung war in Zeiten „gefährlicher Kriegsläuffte/ da alle Commercia Noth leiden“ erschwert, auffallend viele Waren sind mit dem Zeichen für steigende oder fallende Preise versehen und das Warenangebot optional verkleinert. Orientierungspunkt bei der Preisgestaltung für „Exotica und ausländische Waaren“ war (wieder) die „Hamburger Preiß=Courante“. Und mit Ausfällen war zu rechnen: Nicht jeder Kunde, der die Hilfe des Apothekers suchte, schien seine Rechnung sofort zu begleichen. Offenkundig konnte der Kunde anschreiben lassen, Tod und Konkurse ließen jedoch manche Rechnung offen. Aus diesem Grund wurde die „Apothecker Forderung/ als eine privelegirte Schuld“ bestimmt, deren Bezahlung „vor andern [Schulden] aus den baaresten Mitteln/ und von den besten Güttern/ Waaren und Mobilien“ erfolgen soll. Der Apotheker bekam so den ersten Zugriff! Das den Apothekern erteilte Privileg sollte diese zudem vor Einbußen an „Nahrung und Handel“ schützen. Hierbei richtete sich auch in Berlin das Augenmerk auf die Konkurrenz der „Materialisten/ Krämer/ Destillatoren und andern“. Mit „andern“ waren auch „Stöhrer/ Betrieger/ Quacksalber/ etc. Summa alle und jede die nicht zum Artzney-Wesen gehören“, dann auch „Gewürtzkrämer/ Alchymisten/ Zuckerbecker/ Parfumierer/ Brantweinbrenner“ gemeint.

Offenkundig wanderten gut ausgebildete Apotheker-Gesellen immer wieder zu Materialisten ab, was die Gefahr barg, dass diese auf der Grundlage ihres in der Apotheke erworbenen Wissens auch Medikamente ausgaben. Dies war auch in Preussen verboten und jeder Verstoß wurde ab 1710 mit Strafen und einem Berufsverbot für jene Materialisten belegt. Nicht jede preußische Apotheke, vor allem solche in kleineren Orten, schien von einem Apotheker betrieben zu werden. Mancherorts musste auf einen Provisor zurückgegriffen werden, für den Berlin 1715 einen eigenen „Eyd“ vorsieht. Auch die Rolle des Apothekers in Orten ohne Medicus wurde geregelt. Kurz: Alles war geregelt, und selbst mögliche Raubdrucke der Taxe Berlin 1715 wurden vorsorglich mit Strafen belegt. Von den dann fälligen 200 Thalern, ein immenser Betrag, solle die Hälfte an den Fiskus, die andere an den Verleger Johann Christoph Pape gehen.

Die Windsheimer Apotheke, erbaut ca. 1717 (Michael Schlosser, Bad Windsheim in alten Ansichten, Zaltbommel 1983)

Auch Windsheim 1708 trifft eine deutliche Abgrenzung gegen andere Berufe. Gewürzkrämern und den Lebküchern ist verboten, „gemachte Artzneyen und Composita, als Pillulen/ Pulver/ Säfft/ Zeltlein/ gebacken Süßholtz/ Sennablätter/ Rhabarbara/ Jallapa, gebrante Wasser/ Öhl/ Salben/ Pflaster/ Rauchkertzlein und ander Rauchwerck und dergleichen Dinge“ zu verkaufen. Erwähnt wird, dass Vorläufertaxen Sammeltaxen mit „Classen" gewesen seien. Diese würden bei den Visitationen vorgezogen. Jetzt jedoch sei auf eine alphabetisch angeordnete Auflistung umgestellt worden, da diese einfacher von Jedem zu nutzen sei. Die Taxe dieser eher kleinen Reichsstadt, westlich von Nürnberg und nordöstlich von Rothenburg ob der Tauber gelegen, bietet eine Fülle von Produkten. Wahrscheinlich war es die Einhorn-Apotheke (seit 1549, seit 1717 gegenüber dem Rathaus), die alle gängigen und auch ausgefallenen Waren aus der Taxe anbot, Unicornu fossile praeparatum und Unicornu verum eingeschlossen.

Eine weitere Taxe aus dem Jahr 1708 ist die Neuauflage und Neubearbeitung der von Heilbronn 1655. Die neue Taxe versammelt in einem umfangreichen Kapitel alles das, was uns die Natur schenkt! Dazu gehört auch das Einhorn dazu „so man hier zu Landen findet“. Von Farben ist allerdings nicht die Rede, auch wenn sie sich bunt unter die Waren des breit angelegten Simplicia-Kapitels streuen.

Heilbronn 1638 (Bibliotheksverbund Bayern)

Heilbronn 1655 ist eine mehr oder weniger unveränderte Neuauflage von Heilbronn 1638. Doch für Heilbronn 1708 stehen grundlegende Änderungen an, vor allem gibt es jetzt ein Kapitel mit Farben! Wir müssen uns hier noch einmal mit der Systematik befassen: Das, was sich in den Vorgängertaxen in alphabetischer Reihenfolge unter den simplicia findet, ist jetzt in Kapitel gegliedert. Die Systematik spiegelt all das wider, was uns „die Natur theils roh/ theils mit Beyhilff der Kunst/ auß denen vier Reichen an die Hand gibt.“ Ins Reich der Mineralia fallen jetzt die „Metalla oder die Metallen und was davon herkommt“, die „Mineralia, Ertz und Bergwerck“, die „Terras, Allerhand Erden und Farben“, die „Lapides, oder Stein“, die „Salia nativa er factitia, vulgo venalia, Allerhand Saltz“, die „Marina, oder was auß dem Meer zur Artzney gezogen wird“, „Die Animalia, oder allerhand Thier/ und was von ihnen herkommet“ usw.  Englisch Bleygelb, Berg=Grün, Fein Indig, feiner Lasurstein, Borrax aus Venedig, Weißer Agtstein oder Bernstein bereichern unsere Palette.

Im Vorwort dieser Taxe wird auf den langen Zeitraum seit Erscheinen der letzten Taxe und die vielen Kriegsjahre Bezug genommen, in denen Missstände eingerissen seien, die für die drei Apotheken der Stadt eine neue Taxe erforderten. Verstöße gegen die neue Taxe sollten den Herren Medicos gemeldet werden, die sich direkt an den Bürgermeister zu wenden hätten. Hiermit wird erneut der Stellenwert des Apothekenwesens für eine Stadt unterstrichen. Jährliche „Solennen Visitationen“ (visitatio publica) durch die zuständigen Medicos und die Visitatoren und gelegentliche „particular Visitationen“ (visitation privata) durch den Stadt-Medicus dienten zur Kontrolle, ein Protokoll hierüber musste dem Rath der Heiligen Römischen Reichsstadt Heilbronn vorgelegt werden. Am Rande sei bemerkt: Dass darauf verwiesen wird, dass der Apotheker „Trunckenheit und Schwelgerey“ seiner Lehrlinge und Gesellen nicht dulden solle, und noch weniger, dass diese „unter sich oder mit frembden Persohnen / in der Apotheck herum […] trinken“, mag ein Schlaglicht auf die damaligen Verhältnisse werfen.

Auch in Heilbronn erfolgte die Versorgung der Apotheke durch „aufrichtige bekandte Materialisten aus grossen Handelsstätten“, von denen sich der Apotheker Waren durch „Verständige“ bringen ließ oder wo er selber einkaufte. Die gelieferten Waren sollten dann vor dem Stadtphysicus ausgepackt und die „Preiß=zettel ihm zugestellt werden. Die Waren sollten – wenn für tauglich befunden – in Schachteln, Gefäßen, Schubladen und Büchsen verstaut und nach dem Alphabet folgend gelagert werden, um zukünftige Visitationen zu erleichtern. Unbeschriftetes oder Untaugliches solle sofort entsorgt werden. Besonders harte Materialien, wie Blutstein, sollten auf einem „harten Reib=Stein mit grossem Fleiss auf subtileste praeparirt“ werden. Wie bisher – und das wird nicht nur für Heilbronn gelten – verblieb man beim „Nürnbergische[n] Gewicht von Granis biß auf libras medicinales“, für Krämerwaren galt jedoch das „nach der hiesigen Stadt curirte Gewicht“, leider ohne, dass dieses benannt wird.

Kehren wir noch einmal nach Rothenburg zurück: Rothenburg 1710 überrascht mit einem stark eingeschränkten Angebot. Da viele der von uns gesuchten Materialien fehlen – von Bleigelb über das Nußöl bis hin zum Grünspan –, kann angenommen werden, dass sich zwischenzeitlich ein Materialist in Rothenburg angesiedelt hat, der einen Direktbezug erlaubte. Möglichenfalls hat diese Beobachtung aber auch mit der Schließung der Mohrenapotheke in eben demselben Jahr 1710 zu tun, die bislang die Stadt mit Farbwaren versorgte. Die zweite Apotheke, die Löwen-Apotheke hatte Farben vielleicht nie in ihr Angebot aufgenommen.

Frankfurt 1710 (Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg)

Frankfurt 1710 ist eine Neuauflage der Taxe von 1686, äußerlich wie auch im reichhaltigen Warenangebot sehr ähnlich. Hohlmaße wie das Echtmaß werden in Unzen umgerechnet: Dabei entspricht ein Echtmaß 110 Loth oder 54 Unzen „reinem Brunnenwasser“. Im Hohlmaß wurde auch der Essig ausgegeben, Spiritus und Terpentin im Loth, die Öle dagegen oft im Loth oder Quint. Öle wurden also gewogen. Verschiedene Sorten von Aquavit, Brandwein, Kaffee oder spanischer Schokolade aus Sevilla runden das Angebot ab. Überhaupt sind Herkunftsbezeichnungen auffallend: Farbige Glaspulver oder Bimsstein aus Venedig, Heilerden aus Lignitz oder Laubach, billiges Vitriol aus Thüringen, teurerer aus Goslar, weißes cera Batavica aus Holland, Siegelwachs aus Spanien und nicht zuletzt amerikanischen Zinnober. Über die weiten Handelswege, die dieser Zinnober gegangen ist, ist nichts zu erfahren. Die unmittelbare Nähe zur zweimal jährlich stattfindenden Frankfurter Messe wird das Wissen um die Herkunft der Waren gefördert haben. Gleichwohl ist der Taxe auch eine Ordnung für die Materialisten vorangestellt, die sich als konkurrierende Bezugsquelle immer wieder ins Bild schieben. Die Nähe zur Messe und der dadurch bedingte Kundenverkehr mag immer erneute Auflagen bedingt haben: Frankfurt 1718 stellt sich dann als ein weitgehend unveränderter Nachdruck von Frankfurt 1710 heraus. Neben kleinen redaktionellen Eingriffen zeigt sich das Preisgefüge stabil, im Rahmen unserer Warenauswahl sind nur wenige Preisänderungen zu verzeichnen.

Überhaupt: Angesichts von rund zwölf Taxen aus Frankfurt – und weit mehr Preiscourants von in Frankfurt ansässigen Materialisten – könnte man Frankfurt als ergiebiges Thema entdecken. Der Frankfurter Catalogus von 1582 bleibt dabei ebenso auffällig im Gedächtnis, wie das über die nächsten zwei Jahrhunderte durchgängig gehaltene Druckbild, die Mehrfachbezeichnungen für ein und dieselbe Ware, das häufige Angebot im Pfund und das Bemühen, die Frankfurter Taxe immer wieder zu "renovieren" auch wenn das Warenangebot weitgehend gleich bleibt. Dass sich dies so entwickelt, hängt mit Sicherheit mit der Frankfurter Messe, der wichtigsten in deutschen Landen, zusammen. Frankfurt ruht in sich, liegt im Zentrum und bildet die Basis für unser Geschehen. Ein Eckstein dieser Basis sichert dem Apotheker auch in Frankfurt ein zusätzliches Einkommen: Es sind die Colores et Pigmenta, die allerdings nicht als eigenes Kapitel auftauchen, dies ist der mit dem Catalogus 1582 festgelegten Gliederung als Gesamttaxe geschuldet! Über den gesamten betrachteten Zeitraum hinweg finden wir im Angebot Frankfurter Apotheken all das, was unseren Warenkanon definiert. Eine Brandmauer zu den Materialisten existiert nicht: Die z. B. für Frankfurt 1668 gültige Regelung, dass dort ansässige oder fremde Materialisten Waren, deren "Handkauff" schon immer den Apotheken vorbehalten war, nur in Mengen über acht Loth oder einem Viertel Pfund abgeben dürfen, greift für unseren Warenkanon nicht. Wir können also von einem Nebeneinander von Apotheken und Materialisten ausgehen – wobei offen bleibt, ob der Materialist die für die Apotheke festgelegten Preise für Colores unterschreiten durfte oder ob er auch hieran gebunden war.

Die Taxe Oldenburg 1713 ist insoweit ungewöhnlich, als aus dem Vorwort deutlich wird, dass es für die Bearbeiter der Neuauflage die Vorgabe gab, sich explizit an der in Stade gedruckten (noch nicht nachgewiesenen) Taxe Bremen-Verden von 1711 zu orientieren. Dies vor allem auch im Hinblick darauf, selten gefragte Waren wegzulassen, da diese nur alt würden. Dass sich in dem kleinen Oldenburg die Farben zusammen mit den Metallen und Mineralien halten, zeigt, dass die Apotheken Oldenburgs – die 1598 gegründete Rats-Apotheke und die 1620 eröffnete Hofapotheke – noch keine Konkurrenz durch Materialisten vor Ort hatten. Oldenburg 1713 weist noch die Besonderheit auf, dass das ausführliche Register lateinische und deutsche Bezeichnungen dem Alphabet folgend in bunter Reihenfolge listet: Diese ungewöhnliche, aber sehr praktikable Form hat sich auch das Glossar dieser Webseite zum Vorbild genommen.

Mühlhausen 1715 (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)

Ähnliches gilt auch für Mühlhausen in Thüringen zu berichten. Die außerordentlich sorgfältig aufgesetzte Taxe Mühlhausen 1715 bietet inhaltlich Außergewöhnliches. Neben den Mineralia & Metalla/ Berg-Arthen und Metall tritt noch einmal ein eigenständiges Pigmenta & Colores, ein Farben-Kapitel. Die zwei Apotheken Mühlhausens sind also noch nicht durch einen örtlichen Materialisten oder Kramer bedrängt. Die (noch nicht nachgewiesene) Vorgängertaxe von 1665 galt auf Grund ihrer teilweise zu hohen Preise als überholt, was die Kunden offenkundig dazu brachte, die Mühlhauser Apotheken zu meiden. Statt sich an die 1626 privilegierte Untere oder Grüne Apotheke oder die (vermutlich) Einhorn-Apotheke zu wenden, suchte man deshalb billigere im Umland auf. Und erneut: In der Vergangenheit hatte sich die Grenzziehung zwischen Apotheker und Kramer als schwierig erwiesen, so dass eine Neuauflage der Taxe Klarheit schaffen sollte. Überdies, und weit wichtiger, sei die Medizin in den letzten 50 Jahren „durch viele Physicalische/ anatomische/ mechanische u. chymische experimenta und neue Erfindungen vollkommener [geworden]/ und [seien] viele neue medicamenta und materialien erfunden worden“. Wie auch in anderen Taxen, ist das Farbenkapitel aus dem Blickwinkel des Pharmazeuten verfasst: Das Bleiweiß, das z. B. als Bleiweißpflaster Verwendung findet, findet sich nicht unter den Farben, sondern unter den Mineralia & Metalla. Das Colores Kapitel reicht vom Muschelsilber über schwarze Tinte, Berggrün und Bergblau, von Indigo, den verschiedenen roten Farblacken bis hin zu Lackmus, Schüttgelb und Saftgrün. Die bedeutendste Neuerfindung der Zeit, das Berliner Blau, fand allerdings noch keinen Eingang, auch wenn das Ehrengitter des Charlottenburger Schlosses 1712/14 mit dieser Novität gestrichen worden war. Beide Kapitel sollten somit als Ganzes gesehen werden. Umgekehrt: Das Farbenkapitel macht deutlich, welche Waren keine pharmazeutische Bedeutung hatten. Stichwort Eisenfarbe! Außergewöhnlich ist Mühlhausen 1715 noch in einem letzten Punkt: Das Vorwort der Taxe liefert die präzise Umrechnung von leichten Gulden (252) in leichte Groschen (12) in leichte Pfennige (1) an. Hier bewegt sich unsere Währungsumrechnung also auf sicherem Grund!

Friedrich Bernhard Werner, Ansicht von Hannover, Kupferstich um 1730
(Scan vom Original: Bernd Schwabe in Hannover, CC BY-SA 3.0,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22861272)

Kurfürst Georg Ludwig von Hannover bestieg 1714 als Georg I. den englischen Thron. Die sukzessive Verlagerung seines Hofstaates nach London schwächte die Position Hannovers als Residenzstadt. Die Verwaltung der Stadt lag mehr oder weniger in den Händen der sogenannten „hübschen Familien“, den bürgerlichen Kreisen der Stadt an der Leine. Mitten in diese Zeit erscheint Hannover 1719, die auf Grund der politischen Verhältnisse schon im Titel ihre Gültigkeit für Braunschweig, Lüneburg und Groß-Brittanien herausstreicht. Möglichfalls erklärbar aus all diesen Umständen, wurde dem Apotheker keine freie Preisgestaltung zugestanden. So sollte die örtliche Obrigkeit alle zwei Jahre aus Hamburg oder aus Amsterdam Preiscourants anfordern, um sich hieran zu orientieren. Die Materialia wurden offenkundig aus Hamburg bezogen. Der weite Geltungsbereich der Taxe – also nicht nur für Apotheken in Hannover – brachte es dann allerdings für abgelegenere Orte wie Göttingen mit sich, dass Zusatzkosten für Transport und Zölle anfielen. Die dadurch erhöhten Kosten sollte durch das Sammeln von Kräutern, Blättern usw. aus „Bergen und Wäldern“ kompensiert werden, so dass eine einheitliche Taxe für den gesamten Geltungsbereich galt. Generell gilt wohl, dass Taxen mit einem weiten Geltungsbereich – wie auch die Taxe Berlin 1715 – für die eine oder andere Apotheke, die ihr Geschäft im Hinterland des Erscheinungsortes betrieben, eine Benachteiligung darstellten. Deshalb galten Taxen in der Regel nur für einen kleinen Einzugsbereich. Die Hannoveraner Taxe regelte auch, dass „Wahren und Medicamenta“ bei der Abgabe in größeren Mengen billiger werden sollten. Das alleine wäre nichts Ungewöhnliches, doch die Höhe des Nachlasses erstaunt: So sollten Waren, deren Preis im „Quentin oder Lohten“ aus der Taxe zu ermitteln sind, bei der Abgabe in „Pfund oder grösserer Quantität […] fast auf die Hälfte [sic!] besseren Kauff […] gegeben werden“. Dies dürfte bei der Abgabe von Farben wie Ocker oder Bleiweiß zu einer deutlichen Preisreduzierung geführt haben. .

Ungewöhnlich rasch erscheint die Neuauflage Hannover 1725: Im weiten Geltungsbereich war die Taxe Hannover 1719 wohl schnell vergriffen. In Inhalt und von den Preisen her unverändert – Fehler wie der nie erfüllte Verweis von Rubrica fabrilis auf die Lapides miteingeschlossen – ändert sich nur das Druckbild.

Stuttgart 1720 (Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg)

Wir erinnern uns, in Stuttgart war den Apotheken schon um 1640 explizit zugestanden, neben Apotheker-Waaren mit Farben im Handkauf zu handeln. Ebenso durften sie Spezereyen und Gewürtze anbieten: Farben, Süssigkeiten und Gewürze rechnen so zu den Waren, die der Apotheke das Überleben sichern sollten. Nicht alle schienen sich an diese Regelung zu halten, denn die Wiederhohlte und Erneuerte Ordnung Stuttgart 1720 gesteht ehrlichen Materialisten nur zu, Apotheker-Waaren „halb Pfund weiß“ zu verkaufen. Eine Abgabe geringerer Mengen an Simplicia – worunter unsere Waren zumeist fallen – war dem Materialisten nicht erlaubt. Fahrig wirkende, handschriftliche Ergänzungen in der hier ausgewerteten Taxe bezeugen, dass es gleichwohl noch gehörigen Klärungsbedarf gab, was nun darunterfällt und was nicht. Die Grenze zu den Krämern und Zuckerbeckern war dagegen klarer gezogen: Sie durften weder Simplicia noch Composita verkaufen, „damit der Hand=Kauff denen Apotheckern nicht gar benommen werde.“ Fahrende Händler gar, „Italiäner/ Schweitzer/ Tyroler/ andere Wurtzel=Krämer und Oehl=Träger“ durften nur „Oehle/ welche die Professiones und Handwercker zu ihren Farben gebrauchen/ auf öffentlichen Jahr=Märckten“ anbieten.

Die Braunschweiger Hof-Apotheke in den Hagen, Stich um 1719 (aus [4])

Die Taxe Braunschweig 1721 galt für Braunschweig, die Residenzstadt Wolffenbüttel und für Lüneburg. In der vorgestellten Ordnung werden die „kleinen Apothecker“ im selben Kapitel abgehandelt wie die „Materialisten/Gewürtz=Krämer/ Schachtel=Träger/ Zucker=Becker/ Brandtewein=Schencken/ und Wurtzel=Krämer“. Diese kleinen Apotheken – in anderen Ordnungen Winkelapotheken genannt – wurden sorgsam abgesetzt von der priviligierten „Hof=Apothecke in den Hagen, der Raths=Apotheke der Alten=Stadt und die neue Apothecke auf der Schuh=Strasse“, neben denen keine weiteren Apotheken geduldet werden sollten. Damit war „im weitläufftigen Braunschweig […] das Publicum […] nicht an eine Apothecke gebunden“. Die heutige Hagenmarkt-Apotheke ist dabei die älteste der Stadt. 1677 mit herzoglichem Privileg versehen, das den Apotheker von allen Abgaben und zivilen wie militärischen Pflichten entband und von allen Einfuhrzöllen befreite, hatte der erste Apotheker Andreas Zacharias Happe als Gegenleistung jährlich 125 Taler an den Hof zu leisten. Zum Zeitpunkt der Entstehung unserer Taxe führte Wilhelm Christoph Renniger (1669-1745) die Apotheke: Sein Name findet sich auch auf dem Banner des obigen Stichs, der nur zwei Jahre vor der Taxe entstand. [4]  Auf ihn geht auch der umfangreiche Catalogus Braunschweig 1706 zurück. An Rennigers Catalogus wird einmal mehr deutlich, dass ein Catalogus das weitest denkbare Warensortiment einer Apotheke dieser Zeit widerspiegelt. In ihm bewegen wir uns: Eine Taxe wird dann – wirtschaftlichen und pharmazeutischen Kriterien folgend – eine Teilmenge sein.

[1] Deutsche Apotheker-Zeitung / Südd. Apotheker-Zeitung Nr. 37, 681-686 (September 1951).

[2] https://berlingeschichte.de/stadtentwicklung/texte/1_06_altcoelln.htm (letztmalig aufgerufen 22.11.22)

[3] Zur Berliner Apothekengeschichte siehe Manfred Stürzbecher, Die Apotheke in Berlin im Laufe der Jahrhunderte, Frankfurt 1987.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hagenmarkt-Apotheke#Entstehungsgeschichte (letztmalig aufgerufen 24.11.2022) und Robert Bohlmann d. J., Die Apotheke am Hagenmarkt, Robert Bohlmann d. J.: Die Apotheke am Hagenmarkt, in: Walther Kern und Wolfgang Schneider (Hrsg.), Geschichte der Apotheken des Landes Braunschweig (Braunschweig 1959), Band 2.

Dieser Beitrag ist zu zitieren als Andreas Burmester: An den Rand notiert. Anmerkungen zum Münchner Taxenprojekt (2022), www.taxenprojekt.de

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