An den Rand notiert: Preislisten bis 1574
Andreas Burmester
Im Jahre 1548 erließ Kaiser Karl V auf dem Augsburger Reichstag eine Verfügung, die den Städten eine Apothekenordnung und eine Apothekenpreisliste (Taxa) auferlegte. Es war eine Verfügung, die lange Wirksamkeit zeigen sollte: Noch über 200 Jahre später bezieht sich das Vorwort der Taxe Fulda 1785 auf jene „offenkündig redenden Reichsgesetze, Constitut. Carolin. Art. 37. §. 3. Reformat. polit. de Anno 1548. §. 22. & de Anno 1577. tit. 38.“, die es zu erfüllen gälte. In ihnen sollten sowohl der rechtliche Rahmen geregelt wie auch die Preise für die angebotenen Waren amtlich festgelegt werden. In der Regel am Rathaus wie auch in der Apotheke selber angeschlagen und somit für jeden Bürger einsehbar, sicherte sie dem Kranken, der um Hilfe nachsuchte, feste Preise zu. Zugleich gewährleistete die Taxe das Überleben der Apotheke.
Vermutlich führten massive Missstände in den Apotheken des 16. Jahrhunderts zur Notwendigkeit einer derartigen Regelung. Auf den Erlass Karls V geht die erste gedruckte Taxe Dresden 1553 zurück. Mit ihr etablierte sich rund 100 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks ein für uns überaus ergiebiger Quellentyp, der mit wenigen Worten zu charakterisieren ist: Eine Apothekentaxe ist gedrucktes Warenverzeichnis mit amtlichem Charakter. Sie erschien in kleiner Auflage und war häufig über Jahrzehnte gültig. Ihre Aufbau und ihre Ausgestaltung variierte von Stadt zu Stadt.
Wir wissen – und das wäre ein weiteres Forschungsfeld –, dass die gedruckten Taxen, wie auch Dresden 1553, handschriftliche Vorläufer hatten, die in Abschriften von Stadt zu Stadt weitergereicht wurden. So verwendete die Reichstadt Memmingen 1519 die handschriftliche Münchner Taxe von 1505 als Vorbild. Im Stadtarchiv Memmingen finden sich weitere handschriftliche Taxen aus den Jahren 1563, 1588/89, 1604, 1625, 1644 und 1655, zu einer gedruckten Memminger Taxe scheint es jedoch nie gekommen zu sein. Kurz: Neben die gedruckten Taxen treten handschriftliche Vorläufer oder gar Nachfolger. Einmal gedruckt heißt nicht immer gedruckt!
Da über den Letterndruck einfach vervielfältigbar und somit erhältlich, entwickelte sich die Dresdner Taxe als Urbild für alle späteren Taxen. Ganz entsprechend der handschriftlichen Abschriften entschied man sich in Dresden 1553 zu einer einfachen Struktur: Sie entspricht der einer Sammeltaxe, die z. B. die Gummen und Harze in einem Kapitel zusammenfasst (sammelt). Innerhalb eines Kapitels werden zudem Waren gleichen Preises gebündelt, teurere nachgestellt aufgelistet. Im Fall der der Mineralia stellt sich die Situation anders dar: Jede einzelne Ware ist verpreist. Die Colores (Farben) finden in den Kapitelüberschriften keine Berücksichtigung. Die Reihenfolge innerhalb eines Kapitels folgt nicht strikt der alphabetischen Abfolge, manche Einträge wirken wie nachgesetzt, da (mangels Übung?) vergessen. Die meisten Waren sind lateinisch benannt, die Kapitelüberschriften in einem deutsch-lateinischen Mischmasch gesetzt. Nur wenige Waren sind mit ihrer lateinischen und ihrer deutschen Bezeichnung abgedruckt, darunter Cynober, Mennige, Grünspan und Bleyweis.
Die vorwiegend auf Latein verfasste und erneut aus Sachsen stammende Taxe aus Annaberg 1563 – damals Anneberg im Erzgebirge – stellte eine weitere Etappe in der Suche nach einer sinnvollen Struktur für rund 1.000 Waren dar: Sie gibt für jede angebotene Ware die Preise für das Pfund, die Unze, die Drachme und manchmal auch für ein Scrupel oder ein Gran (Lapis lazuli!) an. Dadurch entsteht eine komplexe Sammeltaxe, die zudem noch zwischen den Composita, den pharmazeutischen Zubereitungen wie Salben, Pillen oder Küchel, und den alphabetisch aufgelisteten Simplicia (Grundstoffen) unterscheidet. Unter letzteren finden sich dann auch auf Deutsch oder Latein bezeichnete Produkte (z. B. weißer Agstein) aus unserem Warenkanon.
Liegnitz 1568 beschreibt, dass zur Visitation der örtlichen Apotheke wie auch der Erstellung der Ordnung und Taxe Doctores und ihnen unterstellte Apotheker herangezogen wurden, darunter solche aus Breslau. Natürlich wirkte auch der Leib- und Stadtarzt des Herzogtums Schlesien zu Liegnitz und Brieg mit. Allen war die zentrale Rolle des Apothekers bewusst: „Und nach dem der Apotecker diesen Taxa uff sich genomen/ und den trewlich zu halten zugesagt/ so achtet ein Erbar Rath nicht für unbillich/ das der Apotecker/ welcher die Apoteck mit grossen unkosten erhalten mus/ und den Leuten in iren vorfallenden nöten dienet/ und zu hülffe kompt/ von den Patienten gebürliche bezalung der Ertzneien/ nach laut und inhalt der verordneten Taxa empfahe und bekomme.“ Nicht zu Unrecht weist diese Passage auf die hohen laufenden Kosten einer Apotheke hin. Räumlichkeiten, Personal und ein aufwendig gepflegter Warenbestand schlugen zu Buch.
Auch dies wird der Grund gewesen sein, dass viele Orte nur eine Apotheke hatten und die Anzahl der Apotheker seitens der Stadt begrenzt wurde. Ebenso wichtig wie eine angemessene Bezahlung des Apothekers war eine Abgrenzung zu Kremern, Destillirern (Verkauf Gewürze, Specereyen), zu Landscherern und Wasserbrennern (gedistillirete Wasser, Oel, confect, Gewürze), deren Tätigkeit zum Schutz der örtlichen Apotheke deutlich eingeschränkt wurde.
Liegnitz 1568 ist die erste und zudem eine der wenigen Taxen mit einem reinen Colores Kapitel. Farben, nichts als Farben! Die Bezeichnungen sind hier durchweg auf Deutsch. Das Kapitel steht in der Taxe bezeichnender Weise nach(!) allen pharmazeutischen Zubereitungen als letztes. Die einspaltig, ansonsten auf Latein formulierte Taxe weist den Farbenbestand somit als gesondertes Sortiment aus, das für den Apotheker eine zusätzliche Einnahmequelle bot. Nicht immer scheint die Zuordnung eindeutig: Produkte wie cerussa (Bleiweiß) haben pharmazeutische Bedeutung und finden sich im Kapitel mineralia. Das teurere Venedisch Bleyweis - von Malern bevorzugt - steht im Colores Kapitel und wird nur als Pigment verkauft. Cerussa citrina taucht auch unter den Mineralia auf, das identische Produkt mit seiner deutschen Bezeichnung Bley gelb im Colores Kapitel.
Die Ordnung und Taxe Kassel-Marburg 1564 sucht noch ihre endgültige Form. Während die Ordnung im Wesentlichen auf den Umgang mit Giftstoffen, ja generell auf die Kontrolle über das Geschehen und die Verantwortlichkeiten in der Apotheke abhebt – so sind nicht mehr frische, verfallene Waren im Wasser(!) zu entsorgen –, versucht die Preisliste in Form einer Auswahltaxe Struktur in einen vergleichsweise kleinen Warenbestand zu bekommen. Gängige, preiswerte Waren werden pauschal gelistet und eingepreist, die teureren folgen. Unter Letzteren – den Ausnahmen – sind dann die Waren nach aufsteigenden Preisen sortiert. So nachvollziehbar dies ist, so sehr wird dies die Suche im Alltag erschweren. Das Druckbild ist noch tief in die Zeit handschriftlicher Listen verwurzelt. Der Großteil der Waren wird auf Latein benannt, doch Gängiges wie Leinöl oder Berggrün fehlt. Ein Grundtenor der Ordnung ist eine klare Abgrenzung zu konkurrierenden Anbietern. Erwähnt werden „Hendler und Kremer“. Für uns: War das Fehlende dort zu suchen? Mit diesen wenigen Beobachtungen ist fast alles genannt, was uns im Folgenden begleiten wird: Das praktische Geschehen in der Apotheke, ihr Warensortiment, die tastende Suche nach einer endgültigen Form der Taxen, die Preisbildung sowie die für das Überleben der Apotheke notwendige Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen. Sie alle werden uns immer wieder begegnen. Die Lösungen, typisch für deutsche Kleinstaaterei, werden überall leicht anders aussehen.
Die ebenfalls auf Latein verfasste Taxe Coburg 1574 ist eine verbesserte und gemehrte 2. Auflage einer erstmalig 1558 erlassenen, vielleicht handschriftlichen, jedoch in jedem Fall bislang noch nicht als Digitalisat vorliegenden Taxe. Sie hat für Coburg und die umliegenden Städte Gültigkeit. Zu dieser Zeit gab es zwei Apotheken in Coburg, deren Umgang untereinander in der vorangestellten Apothekenordnung geregelt wird. Das angedrohte Strafmaß lässt vermuten, dass das Verhältnis der beiden Apotheker wohl nicht unbelastet war. Die heutige Coburger „Hofapotheke“ am Coburger Marktplatz wurde als „Apotheke zum Goldenen Strauß“ durch Cyriacus Schnauß (1512-1571) gegründet und ist bereits seit 1543 nachgewiesen [2].
Die erste Coburger Taxe von 1558 erschien also noch während Schnauß die Apotheke führt. An ihn erinnert noch heute ein Grabstein im Hof der Apotheke. In der zugehörigen Apothekerordnung wird erwähnt, dass ein Apotheker bei der Auswahl seiner Simplicia selber die Qualität einschätzen und verfälschte Artikel erkennen müsse, damit er „sich nicht mit den Materialisten habe[n] zu entschuldigen“. Auch aus der Kapitelüberschrift zu den Simplicia wird deutlich, dass der Apotheker die "frembden und auslendischen Einfachen ding/ so gemeinlich von den Materialisten" bezog. Die Coburger Taxe enthält eine genaue Aufstellung der Gewichte, Hohlmaße und gängiger Abkürzungen.
Zittau 1573 ist eine außergewöhnliche Taxe mit einem breiten Warensortiment, ebenfalls einspaltig auf Latein gelistet. Von der 1519 gegründeten Marktapotheke, in der diese Taxe Anwendung fand, hat sich u. a. ein Blick in einen historischen Lagerraum auf dem Dachboden erhalten, ein seltenes Dokument der Lagerhaltung.
Die Taxe Berlin 1574 wurde für die damals zwei Apotheken Berlins aufgesetzt. Bei der Erstellung suchte man Vorbilder, wobei sich die Autoren Mattheus Flaccus, D[octor] und Stadtphysicus von Berlin, und Lucas Scholle, Bürgermeister von Neubrandenburg, vor allem an Dresden 1553 orientierten.
Die Berliner Taxe ist möglichenfalls die erste zweispaltige: Lateinische und deutsche Warenbezeichnungen sind in Spalten gegenübergestellt. Mit dem Ergebnis schien man zufrieden, denn die Taxe Berlin 1574 wurde von den Autoren „der Dresnischen [Taxe] doch nach gelegenheit dieser ort und landart/ [für] fast gemeß“ erachtet. Sie ist nach der von Liegnitz 1568 die erste, die die Farben zusammen mit den Metallen und all dem, was aus dem Berg gewonnen wird, in einem Kapitel versammelt. Daher auch die Bezeichnung als Sammeltaxe. In einer Gesamttaxe, die die Waren alphabetisch auflistet, wäre eine ähnliche Hervorhebung eines spezifischen Warensortiments – wie der Farben – nicht möglich. Eine Sammeltaxe wie Berlin 1574 fordert jedoch den Leser: Die Zuordnungen zu den einzelnen Kapiteln sind nicht immer nachvollziehbar, ein Index fehlt hier. Zudem wird die alphabetische Ordnung innerhalb der Kapitel oft durchbrochen – eine endgültige Form ist noch nicht gefunden!
Ausgehend von zahllosen handschriftlichen Abschriften und Dresden 1553, der ersten gedruckten Apothekentaxe, setzt sich im 3. Viertel des 16. Jahrhunderts also ein strukturierter Typus durch, der das Warensortiment in Kapiteln sortiert. Rein in Latein abgefasste Taxen weichen zweisprachig angelegten Listen, deren deutsche Bezeichnungen dem Personal einer Apotheke wie auch der Kundschaft entgegenkamen. Diese zweisprachige Form – ob als Sammeltaxe oder als Gesamttaxe – wird sich durchsetzen: Ob sich hierbei Berlin 1574 als wegweisender Vorreiter halten kann, werden die Auswertungen noch ausstehender Taxen zeigen.
[1] Andreas Burmester, Ursula Haller und Christoph Krekel, Pigmenta et Colores: The Artist’s Palette in Pharmacy Price Lists from Liegnitz (Silesia), in: Jo Kirby, Susan Nash and Joanna Cannon, Trade in Artists’ Materials: Markets and Commerce in Europe to 1700, London 2010, hier S. 314-324. Zur Liegnitzer Apothekengeschichte siehe Wilhelm Brachmann, Beiträge zur Apothekengeschichte Schlesiens, Würzburg 1966, hier S. 313 ff.
[2] siehe unter https://de.wikipedia.org/wiki/Hof-Apotheke_(Coburg) und https://www.hofapo.com/ueber-uns/historie/
Dieser Beitrag ist zu zitieren als Andreas Burmester: An den Rand notiert. Anmerkungen zum Münchner Taxenprojekt (2022), www.taxenprojekt.de.
Zeitstrahl bis 1574 [] ab 1575 [] ab 1600 [] ab 1625 [] ab 1650 [] ab 1675 [] ab 1700 [] ab 1725 [] ab 1750 [] um 1800