An den Rand notiert: 1675 bis 1699
Andreas Burmester
Die Taxe von Celle 1682 weist – wie andere der Zeit – eine überwältigende Fülle von Waren auf: Sie belegen einmal mehr, dass die Apotheke durch den Verkauf nicht-pharmazeutischer Produkte ihr Überleben sicherte. Dass hierzu auch Farben gehörten, auch „Nürnberger Kuchen, gegossene Zucker=Bilder, Zimmet=Confect“, auch „Unschlit und Marck von Thieren“ unterstreicht die Bedeutung einer Apotheke für die Alltagsversorgung einer Stadt. Aus unserer heutigen Sicht weit gewöhnungsbedürftiger sind unter den „Stücken“, die „von Thieren genommen wurden“, neben dem eigentlich in jeder Taxe vertretenen Einhorn auch Riemen oder Gürtel von Menschenhaut, geraspelte Menschen=Knochen, Menschen=Hirnschalen oder Menschen Fett. Die Neuauflage Celle 1687 ist weitgehend unverändert, auch wenn der Titel deutlich abweicht.
Beide wurden von Andreas Holwein gedruckt. [1] Der Grund für eine Neuauflage innerhalb von fünf Jahren ist unbekannt. Beide Taxen weisen eine außerordentliche Fülle von Materialien auf, beide sind sorgfältig strukturiert und gesetzt. Beide haben ein ergiebiges Kapitel mit Pulveres: Viele Materialien konnte man schon „gestossen“ kaufen. In anderen Taxen wird der Aufwand für das Pulverisieren, also um z. B. den harten Ultramarinstein zu Pulver zu stoßen und reinen Ultramairin zu gewinnen, in einer Taxa Laborum benannt: Jeder Handgriff wird hier eingepreist. Für den Kunden mit Sicherheit weit transparenter ist eine Ausweisung als Pulveres oder Praeparata wie in Celle, was den Arbeitsaufwand einschließt. Beide Celler Taxen sind der im Titelblatt erwähnten Hoff-Apotheke zuzuordnen, die rund 1580 ihren Betrieb aufnahm. Ihre Gründung geht auf Herzog Wilhelm den Jüngeren zurück, in dessen Besitz die Apotheke verblieb. Die Apotheke wurde auf Kosten des Hofes durch einen Administrator betrieben. [2]
In der Regel sind Taxen des 17. Jhs. sogenannte Sammeltaxen: Man stellt in einzelnen Kapiteln die Stoffe nach ihrer Herkunft oder Nutzung zusammen. So können sich in einem Kapitel die Blätter, in einem anderen all die Stoffe, die von den Tieren kommen, wiederfinden. In der Regel sind dann diese Kapitel nach dem Alphabet geordnet, in seltenen Fällen wie in Breslau 1618 dann aber auch nach steigenden Preisen. Letztere Lösung konnte sich nicht durchsetzen, da die Suche außerordentlich mühsam ist. Breslau 1744 ist dann auch als Gesamttaxe streng alphabetisch gegliedert. [3]
Rothenburg 1673 ist auch eine Sammeltaxe. Bereits im Titel ist erwähnt, dass die Taxe für eben die „beyden Apothecken“ der Reichsstadt erlassen wurde. Im Nachwort der drei Autoren – die Stadtphysicis Sauber, Weinlin und Hartmann – beziehen sie sich auf die bereits besprochene Auflage von 1656, nicht ohne zu erwähnen, dass der „continuirliche und gleichsam unbeschreibliche Geldmangel“ ein früheres Erscheinen der überarbeiteten Neuauflage von 1673 verhindert habe. Die Taxa laborum listet neben dem Arbeitsaufwand auch die Verpackungsformen, in die die erworbenen Waren abgefüllt werden: Hier ist die Rede von „ein klein oder groß irdenes Häfelein/ Glaß/ Schachtel/ Büchsen/ sie sey gleich von Zin, Bley/ Blech/ Horn oder Holz“. Zusätzlich erwähnt werden Säcklein.
Alle Frankfurter Taxen – erstmalig die von 1612, dann aber auch 1643, 1669, 1680, 1686, 1687, 1710 und 1718 – beziehen sich auf die kaiserlichen Verfügungen von 1548 und 1577, die das Apothekenwesen durch Ordnungen, Eide und Preislisten neu zu regeln suchten. Bereits 1582 erschien besagter Frankfurter Catalogus 1582. Die erste für uns nutzbare Taxe ist somit Frankfurt 1612. Sie erwähnt drei Apotheken: die Apotheke „zum weissen Schwan“ – 1423 gegründet –, die „zum gülden Haupt“ und die Hirschapotheke. Offenkundig wurden diese drei Apotheken als ausreichend für Frankfurt erachtet, auf die Einrichtung einer weiteren sollte verzichtet werden.
Die allen genannten Frankfurter Taxen vorgestellten Ordnungen beschreiben in ungewöhnlicher Ausführlichkeit die Pflichten und – bei Pflichtverstoß – empfindlichen Strafen, die den Medicis, den Ordinariis, den „geschwornen oder Eydspflichtigen Medicis“, den Apothekern und „deren Dienern“, den Bruchschneidern, Barbierern und anderen medizinischen Berufsgruppen auferlegt wurden. Die Szenerie belebt sich durch – unerwünschte – „betrüglich und Gelbsüchtige Winckelärtzte […,] Versuchärtzte, Aufklauber, Gewissens- und Beruffsvergessene Kirchen= und Schuldiener“, aber auch „verdorbene Apotheker/ Kramer/ Factorn/ Mackler und faule Handwercker/ eigennützige Weibsbilder/ Kranckenwarter/ Zahnbrecher/ Landstreicher […]“, deren Tun das Schicksal der Stadtapotheken bedrohten.
Für uns von Interesse sind die Regelungen, die für die Materialisten getroffen wurden: Sofern vom Medicus überwacht, durfte auch der Materialist bestimmte Composita zubereiten, diese aber nicht in Mengen „unter acht Loth“ – entsprechend 120 g – verkaufen. Für pharmazeutische Produkte war dies eine derart große Menge, die nur direkt an die Apotheken gehen konnten. Ist zu erwarten, dass eine ähnliche Regelung die Abgabe kleiner Mengen an Simplicia – darunter Farbmittel oder auch manches Bindemittel – an den Direktkunden verhinderte? Eine weitere Zulieferung erfolgte von Alchemisten und Laboranten, denen gegenüber die Verfasser der erwähnten Ordnungen voll des Lobes sind, solange sie sich an die Regeln halten. Paracelisten und Schmelzkeßler dagegen, die von der „rechten uhralten Medicin kein Kenntnis haben/ sondern derselbigen Verächter seynd“, sollten dagegen gemieden werden. Eine Abgrenzung wird auch gegenüber den Krämern deutlich, die Waren, die in den Apotheken angeboten werden, nicht „in ihre Kräme ziehen“ sollten. Zusammenfassend engt sich das Panorama möglicher Partner des Apothekers somit auf die Materialisten ein. Die Versorgung der Materialisten war in Frankfurt besonders einfach, denn sie erfolgte über die zweimal jährlich stattfindende Frankfurter Messe. Auch einen Direkteinkauf durch den Apotheker kann nicht ausgeschlossen werden.
Bei allen Taxen stellt sich die Frage der Kaufkraft. Was kostete ein Pfund Brot oder die Arbeitskraft eines Apothekergesellen an einem Tag? In Frankfurt fällt für die „Zubereitung eines vermischten Pulvers/ so etwas Mühe bereitet“ eine Gebühr von acht Kreuzern an, für die eines einfachen Pulvers die Hälfte. Aber auch die Gewichte werfen Fragen auf: Die Frankfurter Ordnungen weisen darauf hin, dass das Medizinalpfund – entsprechend 24 „Apotheckerloth“ – 24 ½ Loth des in Frankfurt üblichen Silbergewichtes sei. Entsprechendes haben wir in Breslau 1650 erfahren. Die in den Frankfurter Apotheken genutzten Gewichte sollten aus Messing oder „daurhafftigem Metall gemacht“ sein.
Im Jahre 1637 wird in Frankfurt die Einhorn-Apotheke gegründet, die bis 1987 existierte. [5] Für sie galt zuerst einmal die Taxe Frankfurt 1612, die in der Offizin in gedruckter Form oder in Abschrift auflag. Viele der Waren sind in Loth und Pfund gelistet, wobei das Preisschema klar den Eindruck hinterlässt, dass das Apothekerpfund für die Preisbildung maßgeblich war. Aus Frankfurt 1680 erfahren wir: "Wann aber/ ausserhalb deren Recepten/ etwas zur Medicin/ Küchen oder Handthierung gehörig/ in den Apothecken/ dem Pfundt und Vierteil nach eingekauftt wird: soll das Civil= oder Silbergewicht gegeben werden/ nemlich 32 Loth für ein Pfundt/ und 8 Loth für ein Vierteil." Gab der Apotheker Waren z. B. im Pfund in Haushalte ab – also für nicht-pharmazeutische Anwendungen – so gilt der Preis für ein Medizinalpfund, der Apotheker musste jedoch die Ware im Krämerpfund (32 Loth oder 480 Gramm) aushändigen. Er machte also einen Verlust von 8 Loth. Ähnliches erfuhren wir aus vielen anderen Städten. Zusätzlich vermerkt ein Hohlmaß als 1 Maaß = 54 Untzen, sowie ein Echtmaaß von rund einem Viertel Liter .
Bereits ein Jahr nach dem Erscheinen von Frankfurt 1686 erscheint eine neue Taxe. Bei ähnlichem Druckbild wechselt der Drucker. Vor allem jedoch wird die Taxe wird an Hunderten von Stellen überarbeitet. Frankfurt 1687 erweitert so die Warenpalette, korrigiert manche Bezeichnung, ergänzt wahrscheinlich unter Rückgriff auf Frankfurt 1582 Synonyme und überarbeitet aber vor allem das Preisschema, mal wird es billiger, mal teurer. Der Grund, warum Frankfurt 1686 innerhalb nur eines Jahres einen Nachfolger bekommt, wird nicht mitgeteilt: War es Unzufriedenheit mit einer fehlerhaften Taxe, war es ein neuer Apotheker, ein neuer Stadtphysicus?
Nur wenige Autoren berichten, an welchen Vorbildern sie sich beim Verfassen ihrer Taxe orientiert haben. Bei der Warenauswahl wie auch bei der Erstellung von Freiberg 1673 und Freiberg 1680 sollte man „nach Anleitung de[r] Wittenbergischen“ vorgehen. Ob die Stadtphysici, Doktor Johann Michael Kühn und Doktor Johann Christoph Strauß, dabei auf die vermutlich veraltete Taxe Wittenberg 1632 – die jüngste uns vorliegende, erstellt mitten im 30jährigen Krieg – zurückgegriffen haben oder auf eine jüngere Ausgabe, wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, dass es bereits 1673 zwei Apotheken in der wichtigen Silberbergbaustadt Freiberg gab, darunter die Ratsapotheke. Auch wenn man in einer Bergwerksstadt anderes vermuten würde, verweist in der Taxe selber nur Freybergisch Vitriol auf eine regionale Gewinnung. Er kostete nur die Hälfte dessen, was man für Vitriol aus Goslar zahlen musste und nur ein Viertel für solchen aus Ungarn.
Das ungewöhnlich ausführliche Vorwort zu Straßburg 1685, das aus der Hand von Marcus Mappus stammt, „Statt=Physicus und Artzney Doctor an der Medicinischen Facultät auff der Universität zu Straßburg“, beschreibt die Umstände, die zur Drucklegung führten. Dabei ist weniger die Taxe selber als der Anhang von Interesse: Es sind die Büttnerischen Leges Officinae, denen wir schon in Görlitz 1629 begegneten. Mappus meinte es offenkundig für notwendig zu erachten, „nach dem Exempel anderer vornemmer Orten/ eine wolgemeinte nöthige instruction beyzufügen/ wie die Personen so in den Officinis publicis auffzuwarten und Ihre Dienste zu leisten haben/ sich verhalten sollen.“ Ob Mappus dabei die Leges direkt aus Görlitz 1629 oder über eine damit in direktem Zusammenhang stehende weitere Schrift übernahm, muss offenbleiben. Weder Görlitz noch eine andere Quelle, ebenso wenig wie der Name Johann Büttner, des Verfassers der Leges Officinae, werden erwähnt.
Die Spur zwischen Görlitz 1629 und Straßburg 1785, die der Büttnerische Beitrag legt, ist nur ein Arm einer verästelten Genealogie, die in Zukunft erforscht werden muss: Wäre es nicht reizvoll, einen Stammbaum aller gedruckten Taxen zu erstellen, die einer Verbreitung dieses seltenen Quellentyps nachgeht? Von Sachsen ausgehend über das gesamte Deutsche Reich? Dass diese Aufgabe nicht leicht werden wird, zeigt, dass die Straßburger „Tax oder Preiß aller Artzneyen“, eine magere, in ihren Warenbezeichnungen rein lateinisch gehaltene Gesamttaxe, in keiner Weise mit der überreichen, auf Latein und deutsch gehaltenen Görlitzer Sammeltaxe zusammenzubringen ist. Die Gemeinsamkeit beschränkt sich auf die Büttnerischen Leges Officinae. Diese Beobachtung lässt eine noch unbekannte Zwischenstufe – also eine jüngere Vorlage – vermuten.
Auch im sächsischen Meissen suchte man sich Vorbilder. Was lag näher als Freiberg? Der Apotheker Jacob Hepchen erwähnt im Vorwort der von ihm verfassten Taxe Meissen 1687, dass er sich eng an der Freiberger Taxe von 1680 orientiert habe. Allerdings hätten sich die in Freiberg festgelegten Preise in Meissen und Umland als nicht durchsetzbar erwiesen, so dass die Drucklegung einer eigenen Taxe – der ersten gedruckten für Meissen – angezeigt erschien. Hepchen übernahm dabei die Struktur und die breite Warenpalette der Freiberger Taxe, was uns ein weiteres Pigmenta Kapitel beschert. Es handelt sich um eine fast wortgleiche Übernahme des Freiberger Vorbilds: Reihenfolge und Umfang der eingepreisten Waren bleiben erhalten. Das anfängliche Bemühen, die Taxe sprachlich hier und dort an die Gepflogenheiten in Meissen anzupassen, verlor sich nach wenigen Seiten. Fast alle erfassten Waren wurden rund 25 – 30% billiger als in Freiberg angeboten, nur wenige Produkte wurden teurer. Hierzu gehörte Safran, dessen Preis stark schwanken kann. Die Preisanhebung um 20% muss man als Angstzuschlag sehen, ebenso der bei Mohnöl um rund ein Drittel. Bei Hepchens Apotheke handelt es sich um die 1504 gegründete und 1542 mit einem Privileg versehene Marktapotheke [6], zur Entstehungszeit unserer Taxe die einzige. Sie besteht bis heute.
Mit dem Verlust seines Status als Sitz der Fürstenresidenz im Jahr 1675 bekam das südöstlich von Breslau gelegene Brieg mit Brieg 1675 eine vom Bürgermeister und dem Rat der Stadt erlassene, neue Taxe. Die Taxordnung regelte Vieles bis aufs Kleinste: Das für das gesamte Reich gültige Nürnberger Apothekergewicht musste aus Messing sein. Bei Handkauf war eine Abgabe nach dem Krämergewicht fällig. Kampfer wie Teufelsdreck sollten wegen ihres stechenden Geruchs getrennt verwahrt werden. Kräuter wurden gesammelt, wenn sie blühten, und dies am besten in der Mittagshitze, wenn der Tau verdunstet war. Wurzeln wie Curcuma oder die Krappwurzel sollten vor dem Blatt- und Blütenaustrieb geerntet werden, da sie dann in vollem Saft standen. Wir könnten dies fortsetzen: Aus dieser Ordnung wie auch den Apothekenordnungen anderer Städte formt sich so ein Bild vom Alltag in einer Apotheke.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Riga 1685 stand die Stadt unter schwedischer Herrschaft. Jahrzehnte kriegerischer Auseinandersetzungen – unter anderem die erfolgreich zurückgeschlagene russische Belagerung von 1656 – waren auch am Apothekenwesen der Hansestadt nicht spurlos vorbeigegangen.
Riga 1685 hatte eine nicht näher datierte Vorläufertaxe, wie im Vorwort erwähnt. Möglichenfalls war Riga 1685 die erste gedruckte Taxe, denn die Stadt beabsichtigte, die „revidierte“ Taxe „durch den Druck gemein zu machen“. Das Krämer-Gewicht von 32 Loht fand auch dort Anwendung: Es „sol ausserhalb der Recepten zu Krämer-Wahren/so man zur Küchen oder anderen Handthierungen mit halben und gantzen Pfunden verkaufft/gebraucht werden.“ Ob eine Abgabe in kleineren Mangen damit ausgeschlossen war? Viele der für uns wichtigen Waren wie Bolus, Smalte oder Grünspan wurden gleich im Pfund angeboten, ein Hinweis darauf, dass sie im Wesentlichen im Handkauf abgegeben wurden.
Riga 1685 richtete sich an die „Vielheit der Apotheken“ der Stadt, eine genaue Zahl wird nicht genannt. Allerdings legte die Apothekenordnung fest, dass künftig höchstens drei Apotheken geduldet würden. Die vorgestellte Ordnung regelte, dass Giftstoffe wie Auripigment oder Arsenicum – gemeint ist Rattengift – in „sonderlicher Verwahrung und unter eigenem Schlosse“ zu halten seien. Hierfür sei ein „sonderbares Gemache und Kasten“, also ein eigener Raum und ein abschließbarer Schrank notwendig. Materialisten ebenso wie Gewürtz-Krämern war strikt verboten, „dergleichen Giffte an einen andern als allein an die Apotheker zu verkauffen.“ Und dort waren die Aufbewahrungsgefäße in „Form/ Materie, Gestalt und Farben“ unterscheidbar zu halten, dass es insbesondere nachts zu keinen Verwechslungen kommen konnte.
Was die angebotenen Öle anging, so durften diese, falls innerlich angewendet, nicht älter als ein Monat sein. Für andere Anwendungen – also unseren Fall – sollten diese „auch nicht allzu brentzlich und allzu alt seyn“. Für ölige Auszüge von Heilmitteln wurde frisches Baumöl, also Olivenöl verwandt. In Pest- und Kriegszeiten waren der Apotheker wie auch seine Gesellen vom Wachdienst auf den die Stadt umgebenden Wallanlagen befreit, von den hierfür erhobenen Abgaben jedoch nicht.
Die vier Taxen, die für Leipzig nachweisbar sind – 1669, 1685, 1689 und 1694 –, erlauben, über die Entstehung, ihre Überarbeitungen oder unveränderte Neuauflagen nachzudenken. Vorweg: Leipzig 1689 weist gegenüber Leipzig 1685 quasi keine Veränderungen in den lateinischen Einträgen auf. Gelegentliche, über die gesamte Taxe verteilte sprachliche Anpassungen finden sich in den deutschen Warenbezeichnungen. Die Preise wurden bis auf wenige Ausnahmen übernommen. Beide Taxen sind bei demselben Drucker entstanden. Dabei ist das Druckbild so ähnlich, dass sich die Frage stellt, ob hier die Setzkästen der einmal gesetzten Taxe aufbewahrt wurden. Die Leipziger Taxen 1685, 1689 und Leipzig 1694 weisen die Besonderheit auf, als die Waren, die selten und nur zu gewissen Zeiten nachgefragt wurden, mit einem O (Kringel) versehen sind. Dies betrifft im Farbenkapitel z. B. das sicherlich seltener nachgefragte Malersilber oder Muschelgold, den weißen Bolus, Eisenfarbe, Malerlack, den Armenierstein (Bergblau), Orleans, Venezianisches Bleiweiß oder die beide angebotenen Sorten an Bleigelb, aber auch in gleicher Weise Berggrün, Bergzinnober, Kreide, Gips, Tripel, Schmirgel, Ocker oder Rötel. Diese Aufzählung legt den Gedanken nahe, dass es einer Apotheke in Leipzig freigestellt war, ob sie Farben überhaupt führen wollte oder den Kunden gleich auf den Materialisten verweisen durfte. Diese Einschränkung könnte entweder auf eine Aufgabenteilung unter den Apotheken oder, weit wahrscheinlicher, auf ein Erstarken der Rolle der Materialisten bei der Versorgung mit Farben zu Ende des 17. Jahrhunderts hindeuten.
Das eindrucksvolle Frontispiz von Leipzig 1689 – das in dem von mir ausgewerteten Exemplar von Leipzig 1685 noch fehlt, das dann aber auch in Leipzig 1694 zu finden ist – verweist nicht nur auf den wohl berühmtesten Arzt des Altertums, Hippokrates (um 460 v. Chr. - um 370 v. Chr.), und sein spätmittelalterliches Pendent, Paracelsus (1493/4 – 1541), nicht nur auf die drei Tugenden Ratio, Experientia und Methodus, sondern bildet in abstrahierter Form auch die Offizin der damals existierenden drei Apotheken in Leipzig ab. Leipzig 1689 war für alle „drey Apotheker zum schwartzen Mohren, zum Könige Salomon, und zum Löwen“ bindend. Die Taxe erschien nach längeren und hinderlichen, nicht weiter ausgeführten Streitigkeiten zwischen den Apothekern und den Medicis.
Die Taxe Minden 1691 erwähnt bereits in ihrem Titel „die beyden Apotheken zu Minden“, für die die Taxe in Druck gegeben wurde: Waren, die nur in der sogenannten Alten Apotheke erhältlich waren, sind mit W gekennzeichnet, die nur in der Neuen Apotheke zu finden waren, mit S., Waren ohne Kennzeichnung bevorrateten beide Apotheken. Aus dem für uns interessierenden Warensortiment betrifft dies Kopal, Spießglas, einen aus klebrigem Mistelsaft gefertigten Leim, bestimmte Spiritussorten und vor allem einen, unter den abgekochten Ölen geführte Firnis, der gleich im Pfund angeboten wurde: Alle die genannten Waren waren nur in der Alten Apotheke vorrätig. Das außerordentlich reiche Farbenkapitel bietet nicht nur mehrere Smalte-Sorten – darunter Aschblau und Blau Stieff – an, sondern erwähnt auch den in anderen Taxen nicht zu findenden Begriff Krabbe, einen aus der Radix rubiae tinctorum gewonnenen roten Farblack. Gelistet sind alle Formen von Blattmetallen, angeboten als Einzelblatt und im Buch. Offenkundig machte in Minden kein Materialist Konkurrenz, wie aus der Vollständigkeit des Sortiments zu schließen ist. Dass die Apotheken neben Farben auch Weine verschiedener Herkunft, Biere und sogar Sekt anboten, mag die Attraktivität der Apotheke erhöht haben – spätere Konflikten waren vorgezeichnet.
Schon häufiger waren die langen Jahrzehnte thematisiert, die in manchen Städten zwischen zwei Taxen liegen konnten. Wien 1692 ersetzte Wien 1688 (noch nicht nachgewiesen) nach nur vier Jahren! Ursächlich zeichneten zahlreiche Fehler, die den Autoren bei der vermutlich ersten gedruckten Wiener Taxe 1688 unterlaufen waren. Zudem hatte man sich für eine strikte alphabetische Ordnung entschieden, was dazu führte, dass die Simplicia und die Composita durchmischt gelistet wurden. Man kann sich die Sucherei vorstellen! Und den Ärger der Kunden! In der Neuauflage entschied man sich dazu, die Materialien und die Zubereitungen zu trennen: Die Simplicia bilden den ersten Teil der Taxe, dann folgen die Praeparata, dann die Composita etc., die Öle finden sich unter den Ölen, alle Pflaster bei den Pflastern etc. Vermutlich hatten die unterschiedlichen Sortierweisen, ob Sammeltaxe oder Gesamttaxe, ob alphabetisch sortiert oder nach Preis, ob nach Simplicia, Praeparata oder Composita getrennt, alle ihre Vor- und Nachteile im Alltag. Als Faustregel kann gelten, dass die frühen gedruckten Taxen des 16. Jhs. in der Regel Gesamttaxen waren, die des 17. und frühen 18. Jhs. in ihrer Materialfülle Sammeltaxen, die des ausgehenden 18. Jhs. und des frühen 19. Jhs. dann wieder alphabetisch sortierte Gesamttaxen. In dem Maß, wie das Warenangebot zunimmt, die Apotheke Materialhandlung und Apotheke wird, ändert sich die Struktur hin zur übersichtlichen Sammeltaxe. Verengte sich das Angebot auf reine Pharmaceutica erscheint die Gesamttaxe bei der Suche die schnellere Variante – Lateinkenntnisse vorausgesetzt.
Die Taxe Wernigerode 1693 hatte ihre Gültigkeit für „beide Städte“, die Altstadt Wernigerodes wie die, außerhalb der Umfassungsmauern der Altstadt gelegene Neustadt. Die Stadt im Harz hatte seit mindestens 1575 eine Apotheke, die Rats-Apotheke. Für das Jahr 1575 ist eine Rechnung des Materialisten Joachim Finolt aus Leipzig verbürgt, der Apothekerwaren lieferte. [6] Mit dieser Rechnung ist eine Belieferung durch Materialisten gesichert, die auf den beiden Leipziger Messen zu Ostern wie zu Michaeli Waren ankauften und an ihre Kunden außerhalb Leipzigs auslieferten. Erst 1737 kam eine zweite Apotheke, die Hof-Apotheke hinzu. [7]
Wie bereits erwähnt, erscheint 1607 die erste Halberstädter Taxe, die für die Rats-Apotheke, die einzige der Stadt Gültigkeit hatte. Diese war an einen Apotheker verpachtet. Erst 1660 kam eine zweite Apotheke unter dem Hofapotheker Andreas Arnoldi hinzu. 1664 sah sich dann der Rat der Stadt mit einem gesonderten Edikt gezwungen, das Apothekenwesen neu zu ordnen. Vor allem wurde den Materialisten und Krämern das Führen pharmazeutischer Produkte verboten. Dazu gehörten auch gekochte Öle. Dieses Edikt ruft dann auch Halberstadt 1672 erneut ins Gedächtnis. In dieser Zeit hatte die Apotheke ihr Warenangebot um „Galenische als gute Chymische Artzneyen“ erweitert, was 1672 eine „renovatio“ der Halberstädter Taxe angezeigt erscheinen ließ.
1695 kaufte die Stadt dem Domkapitel seine Anteile an der Raths-Apotheke ab. Bis dahin teilten sich das Domkapitel und die Stadt das Eigentum an der Apotheke, was zu andauernden Streitigkeiten führte [8]. Halberstadt 1672 ebenso wie die jetzt als Gesamttaxe strukturierte Taxe Halberstadt 1697 hatten also für zwei Apotheken Gültigkeit. Halberstadt 1697 bekräftigt die klare Trennung zwischen Apothekern und Materialisten. Unter Fristsetzung und gegebenenfalls Strafe wurden letztere gezwungen, typisch medizinische Waren und pharmazeutische Zubereitungen innerhalb weniger Wochen auszumustern und zu vernichten. Farben werden in den zwei Sammeltaxen von 1607 und 1672 in der Kapitelüberschrift Metall/ BergArten/ Farben ausgewiesen, sind aber gleichwohl auch in Halberstadt 1697 in bewährtem Umfang zu finden. Erst im Jahre 1742 begründete der Ratsapotheker Rehse auf dem Birnenmarkte eine dritte Apotheke, die Kronenapotheke.
Die Taxe Gotha 1694 besticht nicht nur durch die Fülle von Waren und durch die zahlreichen verwendeten Synonyme, sondern vor allem durch ein der Taxe vorgeordnetes Bündel an Ordnungen, die das Medizinal- und Handelswesen von Gotha zu klären suchte. Herausragend eine Hebammen-Ordnung! Überhöhte Preise und Trunksucht scheinen nur zwei Gründe für eine neue, gedruckte Taxe gewesen zu sein. Sind wir an Reibungspunkte zwischen Apotheker und Materialist zwischenzeitlich gewohnt, wendet sich hier der Blick auf die Gewürtz-Crämer. Dieser wenig schreibende Berufsstand – der damit unter dem Radar des Historikers ist – erscheint mir zu wenig beachtet: Umso erfreulicher ist die Ausführlichkeit, in der in Gotha 1694 darauf eingegangen wird. Unter den genannten Waren, die die Gewürzkrämer führen durften, finden sich – man verzeihe die lange Auflistung, aber die Apotheke hat in Gotha Konkurrenz und einen Materialisten wird es nicht gegeben haben – Saffran (Gewürz), Weihrauch, Mastix, Bernstein, Myrrhe, Tinte, Gummi arabicum, Tragant, Kolophonium (Geigenharz), Leim, Firnis, Wachs, Siegelwachs in verschiedenen Farben, venezianische Seife, Hausenblase (Fischleim), Brasilholzspäne, Saflor, Galläpfel, Alaun, Vitriol, Auripigment, gemeinen Zinnober, Grünspan, Berggrün, Bleiweiß, Mennige, Bleigelb, Schreib-Blei (Graphit), Indigo, Umbra, Kugellack, gemeiner Bolus, Rötel, gelbe Erde (Ocker), Kreide, Tripel, Bimsstein, Blattgold und zu guter Letzt auch Blattsilber. Mit diesem breiten Angebot wird der Gewürzkrämer zum ernsthaften Konkurrenten, während sich eine Apotheke von den Alltagswaren abwendet und vermehrt auf eigene chymische Präparate setzte.
Weit später als andere Städte, erhielt Erfurt seine erste Taxe im Jahr 1696. Auf Veranlassung des Erzbischofs von Mainz, Bamberg und eben auch Erfurt setzten die Stadtphysici unter Nutzung älterer Taxen – es ist die Rede von der „ältesten Apothecker folgende Tax=Ordnung“ – eine Gesamttaxe auf. Sie enthält die üblichen Waren, darunter auch Spodium nigrum, also Beinschwarz. Es ist diese eine Eintragung, die eine Bearbeitung lohnt. Wie das Vorwort deutlich macht, sollte in der Taxe Erfurt 1696 eine „im Preiß der Apothecker=Waahren […] durchgehende Gleichheit gehalten/ und alle unziemliche Ubersetzung nach Möglichkeit verhütet“ werden. In Anbetracht der sechs Apotheken Erfurts – die Römer-, die Mohren-, die Marien-, die Löwen-, die Schwan- und die Grüne Apotheke – wird verständlich, warum man einheitliche Preise angestrebte und vor allem eine durchgängige Begrifflichkeit vorgeben wollte. Eine vorgeschaltete Apothekerordnung fehlt.
Was veranlasst die kleine Stadt Hof, zeitlich kurz hintereinander zwei Taxen zu erlassen, die von Hof 1696 und Hof 1702? Schon lange wurden in Hof zahlreiche Missstände in ihrer einzigen Apotheke beklagt. Sie war über drei Generationen mit dem Namen Kretschmann verbunden [9]. Ein 1629 erteiltes Privileg wurde 1663 und 1685 erneuert. Doch erst in 1690er Jahren wurde die Verhältnisse dann anlässlich einer Visitation von allen „Deputirten […] in solchem guten Standt befunden“ wie es „vorhin nicht gewesen“ sei. Diese erfreuliche Entwicklung sollte durch eine eigene Hofer Taxe unterstützt werden. Orientieren sollte man sich dabei an der Nürnberger Taxe – es ist anzunehmen der von 1652 –, deren Preisniveau jedoch für Hof zu hoch lag. Die von Johann Adam Kretschmann entworfene Taxe Hof 1696 wurde dann als ein „merckliches erträglicher/ als die Nürnbergische Taxa“ empfunden.
Schon im Vorwort leuchtet allerdings ein Zerwürfnis auf, da „Johann Leonhardt Hechtel und andere(!) Materialisten“ Medikamente und „Apothecker=Wahren“ verkauft hätten. Um sich dem energisch entgegenzustellen, wurde festgelegt, dass ein Verkauf von Mengen bis zu einem Viertel (Civil)Pfund – eine „Verkauffung der Medicamentorum Compositorum“ ausgenommen –, dem Apotheker strikt vorbehalten sei. Bei Verstoß wurde eine Strafe von exorbitanten 100 Thalern festgesetzt, die zur Hälfte dem Fiskus und zur anderen Hälfte dem Apotheker zugutekommen sollte.
Doch Kretschmanns Monopol wackelte: Im Vorwort von Hof 1702 erfahren wir, dass besagter Johann Hechtel ein Arzt, nicht Materialist war. Dieser richtete wohl 1698 in einem Haus am Markt, das ihm und seinem Stiefsohn gehörte und wo schon ein Materialistenladen zu finden war, ein „Apotheken Corpus“ ein. Da Hechtel kein Apotheker war und Ärzte keine Apotheken führen durften, übernahm ein Provisor die laufenden Geschäfte dieser zweiten Hofer Apotheke, der sog. Wilhelminischen. Ob der Materialistenladen weiter bestand und inwiefern Hechtel hierin involviert war, ist leider nicht vermerkt. Als Gegenleistung für die Benennung nach dem „Hoch-Fürstlichen Erb Prinzen Wilhelm“ und für die Genehmigung, obiges Wappen zu führen, bot Hechtel an, „ein oder mehr Zimmer zu mehr höchst erwehnt Hoch F. Personen Ablager/ damit Dieselben jederzeit darinnen logiren können/ parat zu halten.“ Auch dies mag dazu geführt haben, dass sich die Stimmung zugunsten Hechtels wendete, Kretschmanns Apotheke bekam Konkurrenz!
Die verbitterte Auseinandersetzung zwischen Kretschmann und Hechtel wird im Vorwort von Hof 1702 ausführlich ausgebreitet. Sie wurde am Ende zu Gunsten von Hechtel entschieden, der den Auftrag für eine neue Taxe bekam, die 1702 erschien. Aus der rein lateinischen Taxe von 1696 wurde eine zweisprachige, von Hechtel und seinem Provisor verfasste, reich bestückte Preisliste, eine bunte Palette an Farben inklusive.
[1] https://www.deutsche-biographie.de/pnd13762929X.html
[2] https://www.myheimat.de/adelheidsdorf/kultur/hof-apotheke-in-celleverdankt-ihre-entstehung-der-landesvaeterlichen-fuersorge-d2759161.html letztmalig aufgerufen am 10.12.2021
[3] Zu den Apotheken Breslaus siehe Wilhelm Brachmann, Beiträge zur Apothekengeschichte Schlesiens, Würzburg 1966, hier S. 39 ff.
[4] https://forum.ahnenforschung.net/archive/index.php/t-112490.html und https://doczz.com.br/doc/1145115/marien-apotheke-rothenburg, letztmalig aufgerufen am 30.11.2021.
[5] Einhorn-Apotheke (Hrsg.), Die Einhorn-Apotheke zu Frankfurt am Main 1637 - 1987, dort Helga Güttler, Aus der Frankfurter Medizinal- und Apothekergeschichte, S. 1-3 und Bernhard Beyer, Die ersten hundert Jahre, S. 29-31 sowie dito, Die zweiten hundert Jahre, S. 32-33.
[6] Albert Springsklee und Fritz Ferchl: Die Marktapotheke zu Meißen Gegr. 1504 ; Zur Geschichte d. ältesten Apotheke d. Stadt Meißen, Eigenverlag Meissen 1930.
[7] Laut Heimatforscher Georg von Gynz-Rekowski, siehe unter https://www.volksstimme.de/lokal/wernigerode/rotes-sandstein-haus-mit-langer-apotheker-tradition-381236, letztmalig aufgerufen am 14.4.2022.
[8] Hermann Böttcher, Halberstadt im Dreissigjährigen Kriege (1618 bis 1648), Osterwiek 2017 (Nachdruck der Ausgabe von 1914), siehe dazu https://www.edition-huy.de/leseprobe_boettcher.pdf
[9] Am Rande des Randes notiert: Eine vierte Generation an Apothekern aus der Familie der Kretschmanns gab es vielleicht nicht: Der Sohn von Johann Adam Kretschmann, Johann Wilhelm Kretschmann wurde Bezirksarzt und Bürgermeister von Hof, aber vor allem hochfürstlich-brandenburgischer Bergrat. Aus seiner Feder stammt die Sammlung zu einer Berg-Historia des Markgraftums Brandenburg-Bayreuth von 1741. Das Interesse an Metalla, Mineralia und vielleicht auch an Farben wird Johann Wilhelm in die Wiege gelegt worden sein, ja sein Interesse vielleicht durch das reiche Angebot an farbigen Mineralien in der väterlichen Apotheke geweckt.
Dieser Beitrag ist zu zitieren als Andreas Burmester: An den Rand notiert. Anmerkungen zum Münchner Taxenprojekt (2022), www.taxenprojekt.de
Zeitstrahl bis 1574 [] ab 1575 [] ab 1600 [] ab 1625 [] ab 1650 [] ab 1675 [] ab 1700 [] ab 1725 [] ab 1750 [] um 1800